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EXKURS 5.3. Die Bedeutung der Massenkaufkraft für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland am Beispiel der Jahre 2000-2008


Die in Kap. 5 festgestellten Zusammenhänge zwischen den Komponenten des BIP werden hier für eine Simulation verwendet. Das Ziel ist, die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen einer Lohnzurückhaltung zu bestimmen. Ausgangspunkt sind die Beobachtungen der deutschen Wirtschaftsentwicklung der Jahre 2000-2008.


1. Beobachtungen der deutschen Wirtschaftsentwicklung aus den Jahren 2000-2008

  • Zwischen 2001 und 2006 ist das reale BIP in Deutschland nicht gewachsen, und die reale Binnennachfrage ist bis 2005 sogar gesunken (DiaEx5.3.1).
  • Die Differenz zwischen beiden Entwicklungen resultiert aus dem gewachsenen Außenbeitrag. Hinter dem starken Exportwachstum ist der Import seit 2001 zurückgeblieben.
  • Auch der private Verbrauch ist – preisbereinigt – kaum gewachsen.
  • Die Beschäftigung in Arbeitnehmerstunden ist deutlich gesunken, und dementsprechend ist die Zahl der Arbeitslosen angestiegen (DiaEx5.3.2).
  • Die Arbeitnehmerentgelte sind im Durchschnitt der Jahre um 1,6% gestiegen, die Gewinne um 3,6% - bei einer Inflationsrate von 1,7%.
  • Sowohl der Anteil der Arbeitnehmerentgelte am BIP als auch der Anteil der Masseneinkommen an den verfügbaren Privateinkommen sind zwischen 2001 und 2007 stark gesunken – siehe DiaEx5.3.3. Diese ausgeprägte Lohnzurückhaltung kann im Zusammenhang mit der damaligen Hartz-IV-Diskussion gesehen werden.


Die herrschenden Theorien hätten erwarten lassen, dass die mit dieser Lohnzurückhaltung verbundene nachhaltige Verbesserung der Gewinne der Unternehmungen zu einer Erhöhung von Wachstum und Beschäftigung geführt hätte. Tatsächlich war von solchen Wirkungen nichts zu beobachten.


Es stellt sich die Frage, ob nicht vielmehr die Stagnation der Massenkaufkraft negative Effekte auf das Wachstum gehabt hat. Zur Klärung dieser Frage dient eine ex-post-Simulation der deutschen VGR für die Jahre 2000-2008, die zeigt,

  • welche gesamtwirtschaftlichen Wirkungen eine Konstanz der Verteilung des Bruttonationaleinkommens auf Arbeitnehmerentgelte und Residualein-kommen gehabt hätte – also bei Verteilungsneutralität.


2. Eine alternative wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands von 2000-2008 unter der Bedingung der Verteilungsneutralität

  • Ceteris paribus – alle anderen Einflüsse auf die Wirtschaftsentwicklung bleiben unverändert: Wohnungsbau, Lagerhaltung, Export sowie der BIP-Anteil der Staatsausgaben.
  • Primär sind die Zahlungsströme. Deshalb wird die wirtschaftliche Entwicklung zuerst in laufenden Preisen bestimmt. Danach werden die Deflatoren der VGR über den Zusammenhang von Verbraucherpreisen und BIP modifiziert, um die preisbereinigte Entwicklung abzuleiten.
  • Die BIP-Quote der Arbeitnehmerentgelte wurden ab 2000 konstant gesetzt: 53,7%.


Die jährlichen Wachstumsraten der Einkommenskomponenten veränderten sich, endsprechend der Konstant-Setzung ihrer Verteilungsverhältnisse, von 2000 bis 2008 wie folgt:

  • Arbeitnehmerentgelte: von 1,60% auf 2,62%;
  • Bruttoresidualeinkommen von 3,23 auf 2,48% (gesunken);
  • Masseneinkommen: von 1,97% auf 2,61%;
  • private Einkommen aus selbständiger Tätigkeit und Vermögen: von 2,70% auf 2,61%;
  • Verfügbares Einkommen der privaten Haushalte: von 2,21% auf 2,61%.
  • Alle vier privaten Einkommenspositionen entwickelten sich also ab 2000 in fester Proportion.


Als Ergebnisse der Simulation zeigten sich erhebliche Veränderungen der wirtschaftlichen Entwicklung. Zunächst ergaben sich nominale Vergrößerungen einzelner Komponenten des BIP, gefolgt von Preiseffekten.

  • Der jährliche Beitrag des nominalen Wachstums erhöhte pro Jahr die Verbraucherpreisinflation von 1,68% auf 1,77%.
  • Die jährlichen Wachstumsraten der preisbereinigten Ergebnisse veränderten sich:
    • privater Konsum von 0,83% auf 1,20%,
    • private Investitionen ohne Wohnungsbau von 1,91% auf 2,71%,
    • die Binnennachfrage von 0,58% auf 0,91%,
    • die Letzte Verwendung von 2,55% auf 2,76%,
    • die Importe von 5,63% auf 5,98% - der nominale Außenbeitrag von 2008 sank von 7,5% des BIP auf 6,8%.
  • Das reale jährliche BIP-Wachstum erhöhte sich von 1,60% auf 1,80%.
  • Auch die Entwicklung der Beschäftigung, ausgedrückt in Arbeitsstunden, veränderte sich positiv. War in der Zeit von 2000-2008 das Arbeitsvolumen tatsächlich pro Jahr um 0,44% gesunken, so hätte die simulierte Einkommensentwicklung nur zu einem Rückgang pro Jahr um 0,07% geführt. Über 9 Jahre wäre die Beschäftigung um 3,2% vergrößert worden – angesichts einer Arbeitslosenquote zwischen 8 und 11%.
  • Addiert man die nominalen Größen der VGR der Jahre 2000-2008, so ergaben sich folgende charakteristische Veränderungen:
    • Bruttoresidualeinkommen: -319 Mrd.€,
    • Arbeitnehmerentgelte: +525 Mrd.€,
    • privater Konsum: +256 Mrd.€,
    • private Investitionen ohne Wohnungsbau: +100 Mrd.€
    • Importe: +128 Mrd.€.


Eine Verstetigung der Verteilung des BIP auf Arbeitnehmerentgelte und Residualeinkommen verstetigt auch die Konjunktur, insb. die Entwicklung der Binnennachfrage.


3. Zusammenfassung der Befunde:

Eine konstant gebliebene Verteilung des Bruttonationaleinkommens von 2000 bis 2008 hätte folgende Veränderungen der wirtschaftlichen Entwicklung bewirkt:

  • Anstelle einer Senkung der Arbeitnehmerentgeltquote hätte in den Jahren 2000-08 ein verteilungsneutrales Wachstum der Arbeitnehmerentgelte nicht nur den privaten Verbrauch erhöht, sondern auch die private Investitionen ohne Wohnungsbau und die Importe –mit Wirkung einer Verringerung des Außenhandelsüberschusses.
  • Das Wirtschaftswachstum hätte sich insgesamt erhöht.
  • Die Beschäftigungsentwicklung wäre stärker gewesen.
  • Dieser Verzicht auf die Senkung der Arbeitnehmerentgeltquote hätte jedoch die jährliche Wachstumsrate der Residualeinkommen deutlich verringert.
  • Eine dauerhafte konstante Verteilung des BIP auf Arbeitnehmerentgelte und Residualeinkommen würde die Schwankungen der Konjunktur-entwicklung verringern.


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