EXKURS 6.3. Die föderale Finanzverfassung Deutschlands
Der Staat gliedert sich in Deutschland in Bund, Länder und Gemeinden. Die Verteilung ihrer Kompetenzen regelt das Grundgesetz. Die Länder verwalten sich autonom und kontrollieren die Verwaltung der Gemeinden. An der Gesetzgebung des Bundes sind sie neben dem Bundestag über den Bundesrat, je nach Gegenstand mit unterschiedlichem Gewicht, beteiligt. Diese Aufgabenteilung ist, als Reflex der deutschen Geschichte, wesentliches Element der deutschen Gewaltenteilung: Die Exekutive ist, bis auf die Kontrolle der Außengrenzen, ausschließlich Ländersache.
Bund und Länder koordinieren ihre Haushaltspolitiken heute in dem Stabilitätsrat, der zweimal pro Jahr zusammentritt. Er ist eine wichtige Instanz zur Untersuchung der Haushalte von Bund und Ländern, insbesondere hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit in Bezug auf die Einhaltung der Schuldenbremse (Kap.6.7.2). Seine Aufgabe ist es insbesondere, drohende Haushaltsnotlagen bereits in einem frühen Stadium zu erkennen, um rechtzeitig geeignete Gegenmaßnahmen einleiten zu können. Auch spielt der Stabilitätsrat eine wichtige Rolle mit Blick auf die Einhaltung der für Deutschland geltenden europäischen Vorgaben zur Haushaltsdisziplin (Maastricht). Zwar sind Bund und Länder frei in ihren Haushaltsentscheidungen, und der Stabilitätsrat kann dem Bund oder einzelnen Ländern keine Vorschriften machen. Aber seine im Konsens festgestellten, detaillierten und kommentierten Beobachtungen über die einzelnen Haushaltspläne haben de facto ein erhebliches Gewicht. Allerdings orientiert sich der Stabilitätsrat am Ziel finanzieller Stabilität; konjunkturpolitische Ziele spielen in der deutschen Haushaltspolitik keine wesentliche Rolle.
Die Einnahmen der deutschen Gebietskörperschaften sind im wesentlichen Steuern, die großenteils bundeseinheitlich geregelt sind. Ihre Verteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden werden von Bund und Ländern in gesetzlicher Form vereinbart. 2014 bestanden die Einnahmen des Gesamtstaates aus (in % des BIP) (NoteEx6.3.1):
Netto-Gütersteuern 22,1%,
Einkommens- und Vermögenssteuern 27,1%,
übrigen Einnahmen 13,9%,
Beiträgen zur Sozialversicherung 36,9%.
Die Ausgaben gliederten sich wie folgt:
Bund 24,4%,
Länder 24,8%,
Gemeinden 14,8%,
Sozialversicherungen 36,0%.
Sofern bei dieser Verteilung der Staatseinnahmen kein ausreichender Ausgleich der Finanzkraft der Länder erreicht wird, setzt der „Länderfinanzausgleich“ ein. „Durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, ist sicherzustellen, dass die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen wird; hierbei sind die Finanzkraft und der Finanzbedarf der Gemeinden (Gemeindeverbände) zu berücksichtigen.“ Dies schreibt das Grundgesetz in Art. 107 Abs. 2 vor. Als Ziele werden in der juristischen Diskussion ein „billiger Ausgleich“ der Finanzbedarfe, die Vermeidung der Überbelastung der Steuerpflichtigen und die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet genannt. Weitgehend ausgeglichen wird durch diesen Finanzausgleich die Finanzkraft der Länder, gemessen an deren Einnahmen pro Einwohner.
Ursprünglich bestand der Länderfinanzausgleich nur aus Zahlungen von finanzstarken Ländern an finanzschwache Länder. Die Abneigung der finanzstarken Länder gegen „übermäßige“ Zahlungsverpflichtungen sowie zahlreiche Auseinandersetzungen vor dem Bundesverfassungsgericht haben dazu geführt, dass der Bund als Teilnehmer und die Verteilung der Umsatzsteuern zwischen Bund und Ländern zunehmend in den Finanzausgleich einbezogen worden sind. 2016 haben sich Bund und Länder schließlich auf eine Neuordnung der Steuerverteilung geeinigt, die den bisherigen Länderfinanzausgleich ersetzt, wobei die bisherigen Leistungen der Geberländer entfallen und vor allem die Verteilung der Umsatzsteuern zwischen dem Bund und den einzelnen Ländern zur Angleichung der Finanzkraft der Länder herangezogen wird.
Von einer Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland kann allerdings nicht ernsthaft gesprochen werden. Die auszugleichende Finanzkraft der Länder bemisst sich vorwiegend an den Staatseinnahmen pro Einwohner. Schwächen der Wirtschaftsstruktur einzelner Länder werden durch den Finanzausgleich nicht ausgeglichen. Hier setzen Ergänzungszuweisungen des Bundes ein, bei denen in Ausnahmefällen Sonderlasten strukturschwacher Länder berücksichtigt werden.
Die Wirtschaftskraft der Länder unterscheidet sich trotz Finanzausgleich signifikant, vor allem zwischen Stadt und Land und zwischen Ost und West. 2017 betrug sie, gemessen am BIP pro Einwohnen in % des Gesamtdurchschnitts:
in Hamburg 128%,
in Mecklenburg-Vorpommern 77%.
Und die Arbeitslosenquote betrug 2017:
im Bundesdurchschnitt 5,7%,
in Bayern 3,2%,
in Bremen 10,2%.
Die Differenz zwischen Finanzkraft und Strukturschwäche der Länder spiegelt sich nicht zuletzt in der Verteilung der Staatsschulden wieder. Horizontal verteilten sich Ende 2016 die deutschen Staatsschulden wie folgt:
in % pro Einwohner
Bund 63% 15.297 Euro,
Länder 30% 7.408 Euro,
Gemeinden 7% 1.878 Euro.
Die Schuldenlast der Länder incl. Gemeindeschulden ist, pro Einwohner gemessen, sehr ungleich verteilt (2016):
pro Einwohner
Bayern 1.504 Euro
Nordrhein-Westfalen 10.049 Euro
Berlin 16.233 Euro
Bremen 31.416 Euro.
In der Regel verwalten die Bundesländer ihre Kapitalmarktanleihen unabhängig voneinander. Es gibt jedoch eine wöchentliche Telefonkonferenz der Kreditreferenten der Bundesländer sowie des Bundes. Darin findet eine Abstimmung über die geplanten Marktaktivitäten statt.
Die Höhen der Marktzinsen der einzelnen Länder auf dem Kapitalmarkt unterscheiden sich nur unwesentlich. Sie liegen in der Regel 20 bis 30 Basispunkte höher als die äußerst niedrigen Zinsen der Bundesanleihen. Gelegentlich geben mehrere Länder gemeinsame „Länder-Jumbos“ aus. Allerdings haftet jedes beteiligte Land nur für seinen Anteil. Länder, die sonst einen vergleichsweise geringen Refinanzierungsbedarf aufweisen, realisieren durch die großvolumigen Länder-Jumbos Skalenvorteile, die sich in niedrigeren Zinsausgaben äußern.
Einmal hat es eine gemeinsame Anleihe von Bund und Ländern gegeben: Im Juni 2013 gaben der Bund sowie zehn Länder erstmals eine gemeinsame Bund-Länder-Anleihe („Deutschland-Bond“) mit einem Gesamtvolumen von 3 Mrd. Euro aus. Auch hier wurden die Haftungen geteilt. Da in dieser Anleihe der Nachteil des Bundes den Vorteil der Länder überstiegen habe, hat der Bundesrechnungshof dem Bund von weiteren Beteiligungen an solchen Anleihen abgeraten.
Die Ratingagenturen Fitch, Moody’s und S&P knüpfen ihre Ratings für die einzelnen Bundesländer an die Bonitätsnote des Bundes an. Die Länderanleihen haben bei Fitch das gleiche Rating wie Bundesanleihen: AAA. Fitch begründet dieses Rating:
2009 wurde in Deutschland durch Grundgesetzänderung die „Schuldenbremse“ beschlossen (siehe Kap.6.7.2). Danach darf ab 2016 das Haushaltsdefizit des Bundes 0,35% des BIP nicht überschreiten. Und den Ländern ist ab 2020 jede Nettokreditaufnahme verboten. Lediglich aufgrund konjunktureller Abschwünge oder z.B. Naturkatastrophen wird eine Nettodarlehensaufnahme möglich sein. Die Refinanzierung der bestehenden Länderanleihen wird aber unverändert fortgesetzt.