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EXKURS 6.5. Schuldentilgungen


Ein Abbau von Staatsschulden wird generell als wünschenswert angesehen. Aber wenn Schuldenerhöhungen durch defizit-finanzierte Staatsausgaben positive ökonomische Wirkungen haben, dann ist anzunehmen, dass von Schuldentilgungen negative ökonomische Wirkungen zu erwarten sind.


Was verstehen wir unter Schuldentilgungen?


In der Regel wird in der Öffentlichkeit der Schuldenstand eines Staates in % seines BIP dargestellt. Das ist politisch sinnvoll. Ein Rückgang dieser Schuldenquote eines Staates drückt aber keine Schuldentilgung aus. Schuldentilgung bedeutet eine tatsächliche Verringerung der Schulden eines Staates.


Schuldentilgungen des Staates finden regelmäßig statt. Denn in der Regel bestehen die Staatsschulden in befristeten Anleihen, die am Ende ihrer Laufzeit zurückgezahlt werden müssen. Bei 10-jährigen Anleihen müsste ein Staat jedes Jahr 10% seiner Schulden zurückzahlen. Dafür reichen die verfügbaren Haushaltsmittel in aller Regel nicht aus. Normalerweise finanzieren Staaten ihre fälligen Rückzahlung deshalb durch die Aufnahme neuer Anleihen. Den Saldo von Tilgungen und Neukrediten nennt man Nettokreditaufnahme. Ist diese positiv, dann erhöht sich der Schuldenstand, wenn sie negativ ist, dann sinkt er. Wenn von Tilgung von Staatsschulden die Rede ist, dann ist eine negative Nettokreditaufnahme gemeint: die Tilgungen übertreffen die Kreditaufnahme.


Hier werden die Fälle von Schuldentilgungen in der EU und in den USA skizziert:


  • In Deutschland ist laut Statistischem Bundesamt der nationale Schuldenstand zwischen 1950 und 2012 in keinem Jahr kleiner als im Vorjahr gewesen. Bis dahin hat es also nie Schuldentilgungen gegeben. In dieser Zeit ist der Schuldenstand auf 2,2 Billionen Euro angewachsen, das waren 2012 79,9% des BIP. Erst danach sind die Staatsschulden gesunken. Dabei sind allerdings die Staatseinnahmen stärker gestiegen als die Staatsausgaben. So wurden Haushaltsüberschüsse erwirtschaftet, die den Schuldenstand gesenkt haben (in % BIP): 2014 +0,5%, 2015 +0,8%, 2016 +1,0% und 2017 +1,3%. Schuldentilgungen durch Ausgabenkürzungen dagegen haben in Deutschland nie stattgefunden. 2017 hatte Deutschland nach dem Mastrichtkriterium eine Schuldenquote von 64,1%.


Für die EU publiziert EUROSTAT die Staatsschulden der Mitgliedstaaten gemäß dem Maastricht-Kriterium. In der Zeit von 1998 bis 2014 weisen nur 8 von 28 Staaten tatsächliche Schuldensenkungen aus:

  • In Bulgarien sind zwischen 2001 und 2008 die Staatschulden in Landeswährung absolut um 52,6% gesunken. In dieser Zeit sind die Staatseinnahmen um 119,3% gestiegen, die Staatsausgaben aber nur um 115,8%. Eine Senkung der Staatsausgaben hat in dieser Zeit nicht stattgefunden. 2017 hatte Bulgarien eine Schuldenquote von 25,4%.
  • In Dänemark sind zwischen 2000 und 2007 die Staatschulden in Landeswährung um 31,6% gesunken. In dieser Zeit sind die Staatseinnahmen um 31,1% gestiegen, die Staatsausgaben aber nur um 23,6%. Eine Senkung der Staatsausgaben hat in dieser Zeit nicht stattgefunden. 2017 hatte Dänemark eine Schuldenquote von 36,4%.
  • In Griechenland sind unter dem Regime der Troika zwischen 2011 und 2014 die Staatschulden in Euro um 10,3% gesunken. In dieser Zeit sind die Staatseinnahmen um 8,1% gesunken, die Staatsausgaben aber um 18,8%. Ausgabenkürzungen haben also eine wesentliche Rolle gespielt. Wie die Schuldentilgung finanziert worden ist, lassen diese Daten nicht erkennen. Das BIP sank real um 10,0%. 2017 hatte Griechenland eine Schuldenquote von 178,6%, die wegen Schrumpfung des BIP trotz Schuldentilgung gestiegen ist.
  • In Spanien sind zwischen 2004 und 2007 die Staatschulden in Euro ein wenig gesunken, um 1,6%. In dieser Zeit sind die Staatseinnahmen um 32,9% gestiegen, die Staatsausgaben aber nur um 26,2%. Eine Senkung der Staatsausgaben hat in dieser Zeit nicht stattgefunden. 2017 hatte Spanien eine Schuldenquote von 98,3%.
  • In Finnland sind zwischen 2004 und 2008 die Staatschulden in Euro um 6,6% gesunken. In dieser Zeit sind die Staatseinnahmen um 24,4% gestiegen, die Staatsausgaben aber nur um 19,6%. Eine Senkung der Staatsausgaben hat in dieser Zeit nicht stattgefunden. 2017 hatte Finnland eine Schuldenquote von 61,4%.
  • In Schweden sind die Staatsschulden in Landeswährung zweimal gesunken, zwischen 1998 und 2001 um 8,8% und zwischen 2005 und 2008 um 10,6%. In der ersten Periode sind die Staatseinnahmen um 9,6% gestiegen, die Staatsausgaben aber nur um 8,2%. In der zweiten Periode sind die Staatseinnahmen um 11,9% gestiegen, die Staatsausgaben aber nur um 11,3%. Eine Senkung der Staatsausgaben hat in beiden Perioden nicht stattgefunden. Es handelt sich um einen der seltenen Fälle, in denen eine antizyklische Haushaltspolitik höhere Einnahmen zur Tilgung der Staatsschulden verwendete. Zwischen 1998 und 2012 schwankte der schwedische Schuldenstand in Landeswährung antizyklisch um 1,4 Billionen Kronen. 2017 hatte Schweden eine Schuldenquote von 40,8%.
  • Im Vereinigten Königreich sind zwischen 1998 und 2001 die Staatschulden in Euro um 5,0% gesunken. In dieser Zeit sind die Staatseinnahmen um 19,3% gestiegen, die Staatsausgaben aber nur um 18,1%. Eine Senkung der Staatsausgaben hat in dieser Zeit nicht stattgefunden. 2017 hatte das Vereinigte Königreich eine Schuldenquote von 87,7%.


Und dann die USA: Finanzpolitisch berühmt wurde die Präsidentschaft Bill Clintons von 1993 bis 2000 wegen ihres Abbaus der Defizite. 1999 sprach Clinton von künftigen Haushaltsüberschüssen der USA, die sich bis 2014 auf 6 Billionen Dollar summieren würden. Angesichts eines nationalen Schuldenstandes der USA von 5,7 Billionen Dollars (knapp 60% des BIP) eröffnete sich damals eine Perspektive nachhaltiger Schuldentilgung, die kontrovers diskutiert wurde.


Tatsächlich weisen die Daten des US-Treasury für den Zeitraum von 1970 bis 2015 jedoch lediglich für das Jahr 2000 einen bescheidenen Haushaltsüberschuss von 0,8% des BIP aus. Und die Staatsschulden sind in dieser Periode in keinem Jahr gesunken. Ihr niedrigster Zuwachs betrug im Jahr 2000 0,3%. Im Jahre 2015 betrugen die Staatsschulden 18 Billionen Dollars, das waren 101% des BIP.


Eine weltweite Übersicht über die Entwicklungen von Schulden, Einnahmen und Ausgaben der Staaten findet sich bei der Weltbank (NoteEx6.5.1). Verwendet wurden hier die Jahresdaten von 1990 bis 2015. Ohne die EU-Staaten wurden 161 Staaten erfasst. Um Fälle zu finden, in denen Senkungen des Schuldenstandes mit der Haushaltsentwicklung im Zusammenhang standen, wurden für die einzelnen Staaten Perioden von sinkenden Schuldenständen identifiziert, die wenigstens 3 Jahre angedauert haben. Solche Fälle von Perioden mit sinkenden Schuldenständen wiesen 51 Staaten auf. Diese Perioden wurden mit den zeitgleichen Entwicklungen der staatlichen Einnahmen und Ausgaben verglichen:

  • Bei 45 Staaten sanken die Schuldenstände bei wachsenden Einnahmen trotz gestiegener Ausgaben,
  • bei 2 Staaten fehlten Haushaltsdaten
  • bei 2 Staaten bestand erkennbar kein Zusammenhang zwischen Schuldenverringerung und Haushaltsentwicklung, und
  • nur bei 2 Staaten war eine Schuldentilgung mit einem Rückgang der Staatsausgaben verbunden.


Schuldentilgungen eines Staates sind selten. Finanziert werden sie in aller Regel durch Einnahmenzuwächse. Fälle einer Finanzierungen durch Ausgabenkürzungen lassen sich weltweit äußerst selten finden.


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