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EXKURS 7.3. Die Folgekrisen in EU-Mitgliedstaaten


Mit der raschen Stabilisierung der Geldmärkte war die Finanzkrise in Europa bei weitem nicht zu Ende. Ihr folgte eine tiefe Rezession mit hoher Arbeitslosigkeit. In einigen Mitgliedstaaten der EU standen Bankenrettungen im Vordergrund. Der Kampf der Regierungen gegen die Wirkungen der Finanzkrise kostete hohe Preise. Einige Mitgliedstaaten sahen sich gezwungen, einen europäischen Rettungsschirm in Anspruch zu nehmen. Dadurch erhielt die Finanzkrise den Anstrich einer „Euro-Krise“.


Das Finanzierungsproblem der Staatsschulden, das in diesen Krisen zum Ausbruch kam, beruht auf der gängigen Praxis aller Regierungen, ihre Defizite mittels der Aufnahme befristeter Staatsanleihen zu finanzieren. Das führt dazu, dass eine Regierung, je nach der Laufzeit ihrer Anleihen, regelmäßig große Summen für fällige Tilgungen bezahlen muss. Das kostet ein Vielfaches des laufenden Defizits. Normalerweise bezahlt die Regierung diese Summe über die Aufnahme neuer Anleihen. Auch ein Staat, der keine zusätzlichen Schulden macht, leiht sich auf diese Weise regelmäßig neues Geld in Höhe von 10 bis 30% eines Jahres-BIP zur Bedienung seiner Schulden. Und hat er ein laufendes Defizit, dann wird dieses aufgeschlagen. Die Gesamtsumme der neu aufgenommenen Kredite ist die Bruttokreditaufnahme. Der Teil davon, der zur Finanzierung des neuen Defizits dient, ist die Nettokreditaufnahme.


Einige EU-Staaten gerieten während der Finanzkrise in eine Notlage, als sie zur Finanzierung ihrer gewachsenen Schulden Kredite in Höhe eines Vielfachen ihres Defizits auf dem Kapitalmarkt aufnehmen mussten (Bruttokreditaufnahme). Diese neuen Schulden resultierten auf der einen Seite aus den Kosten von Bankenrettungen, auf der andern Seite aus geringeren Staatseinnahmen oder erhöhten Sozialausgaben aufgrund der in der Krise explodierenden Arbeitslosigkeit.


Hier die Vergleichsgrafiken, die die Entwicklungen einzelner Staaten charakterisieren:


Wir betrachten hier die herausragenden Krisenentwicklungen von 4 EU-Mitgliedstaaten.


Irland TabEx7.3.1

Den Kern der irischen Krise bildete der irische Immobilienmarkt. In den Boomjahren vor der Krise hatten sehr viele Iren Immobilien erworben. Als in der Krise die Immobilienpreise einbrachen, platze die Immobilienblase. Zahlreiche Banken gerieten mit ihren Forderungen in Schwierigkeiten. Um eine Pleitewelle der Banken und eine Konkurswelle der privaten Eigenheime zu vermeiden, übernahm der irische Staat 2010 in unterschiedlichen Formen diese Lasten. Zur Finanzierung gab er neue Staatsanleihen aus.


Vor der Krise verzeichnete Irland Haushaltsüberschüsse und einen sehr niedrigen Schuldenstand: 2007 24% des BIP. Bereits 2008 trat ein jährliches Haushaltsdefizit von 7% auf, das sich bis 2011 verdoppelte. Bis 2012 stieg die Schuldenquote um fast ein Jahres-BIP auf 120%. Von den Neuschulden seit 2008 sind schätzungsweise 80 Mrd. Euro direkt zur Bankenrettung ausgegeben worden. Das waren 45% eines irischen Jahres-BIP bzw. gut die Hälfte der aus der Krise erwachsenen irischen Staatsschulden.


Auf diese massiven Kreditaufnahmen reagierte der internationale Kapitalmarkt mit massiven Zinsaufschlägen. Vor der Krise lagen die irischen Anleihezinsen bei 5%. Im November 2010 kosteten die Zinsen für irische Staatsanleihen 8,2%. Bis Juli 2011 wurde der Höhepunkt mit 12% erreicht.


Im November 2010 sah sich die irische Regierung gezwungen, die EU und den IWF um Hilfe zu bitten. Irland erhielt daraufhin ein dreijähriges Hilfspaket von 85 Mrd.. Euro aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus, und zwar für 5,8% Zinsen, die später auf 3,5% ermäßigt wurden.


Begleitet wurde diese irische Bankenrettung von einer rigorosen Austeritätspolitik der Regierung. Die Wirtschaft war in Folge der Finanzkrise in eine tiefe Rezession geraten:

  • Das BIP sank um bis zu 9% gegenüber dem Stand von 2007.
  • Die Arbeitslosenquote, die im Boom der Jahre vor der Krise unter 5% gelegen hatte, verdreifachte sich.
  • Neben den Ausgaben zur Bankenrettung verursachten vor allem die erhöhten staatlichen Sozialausgaben, eine Folge der hohen Arbeitslosigkeit, einen Großteil des explodierenden Defizits.


Ende 2013 verließ Irland den Rettungsschirm. Zu dieser Zeit lag der Zinssatz für irische Staatsanleihen auf dem Kapitalmarkt wieder bei 3%, also unter den Zinsen des Rettungsschirmes.


Diese irische Krise war eine unmittelbare Folge der internationalen Finanzkrise. Aber die Immobilienblase, die hier geplatzt ist, war ein Produkt des irischen Kapitalmarktes.



Spanien - TabEx7.3.2

Wie wir gesehen haben, hat Spanien bei der Anbahnung der großen Finanzkrise eine besondere Rolle gespielt (vgl. EXKURS7.1). In den Jahren vor 2008 hat Spanien einen überhitzten Bauboom erlebt, der mit ausländischen Krediten finanziert worden war. Die Finanzkrise setzte dem ein jähes Ende. Die Immobilienpreise brachen ein, Baufinanzierungen wurden notleidend, und viele Banken und Sparkassen gerieten in die Krise. Die massenhafte Räumung von Wohnungen wurde zu einem zentralen Thema der politischen Debatte. Das andere Thema war die vom Bausektor ausgehende wachsende Massenarbeitslosigkeit.


Vor der Krise hatte Spanien stabile Staatsfinanzen ausgewiesen: der Haushalt hatte leichte Überschüsse, und die Schuldenquote lag bei 39%. Als die Finanzkrise über das Land hereinbrach, setzte der spanische Staat in großem Umfang defizit-finanzierte Maßnahmen ein, um Konjunktur und Beschäftigung zu stützen. Zugleich gab er große Summen aus, um Banken zu retten. Bei sinkenden Staatseinnahmen und steigenden Staatsausgaben wuchsen Defizit und Schulden explosionsartig an:

  • Das BIP sank um bis zu 8% gegenüber dem Stand von 2007.
  • Die Arbeitslosenquote, die im Boom der Jahre vor der Krise bei 8% gelegen hatte, verdreifachte sich auf 26%.
  • Das Defizit wuchs auf über 10% des BIP. 60% dieser Ausgabensteigerungen entfiel angesichts der hohen Arbeitslosigkeit auf Sozialausgaben.
  • Die Schuldenquote wuchs von 36% auf 100%.


Anders als bei Irland resultierten die spanischen Schulden überwiegend aus laufenden Haushaltsdefiziten. 2012 waren nur ca. 42 Mrd. Euro Staatsschulden auf finanzielle Staatsausgaben zurückzuführen. Das waren 4% eines Jahres-BIP bzw. 7% der in der Krise hinzugekommenen Staatsschulden.


Die Bruttokreditaufnahme Spaniens lag in der Krise bei 25% eines Jahres-BIP, und die Zinsen für spanische Staatsanleihen kosteten 2012 in der Spitze 7%. Gleichwohl nahm der spanische Staat 2012 beim EFSF, einem der „Rettungsschirme“ der EWU für kriselnde Staaten, einen Kredit in Höhe von 42 Mrd. Euro auf. Im Januar 2014 verließ Spanien diesen Rettungsschirm, ohne den eingeräumten Kredit von insgesamt 100 Mrd. Euro ausgeschöpft zu haben. Auf dem internationalen Kapitalmarkt sanken die Zinsen für spanische Staatsanleihen seitdem gemäß dem allgemeinen Trend gegen 2%.


Erst nach 2014 besserte sich die wirtschaftliche Situation Spaniens allmählich. 2016 erreichte das spanische BIP wieder das Niveau von 2007. Die Arbeitslosigkeit jedoch sank 2016 nur auf knapp unter 20%.


Wie in Irland war die Krise auch in Spanien eine unmittelbare Folge der internationalen Finanzkrise. Aber die Immobilienblase, die hier geplatzt ist, war ein Produkt des spanischen Kapitalmarktes.



Portugal – TabEx7.3.3

Schon vor der Finanzkrise verzeichnete Portugal hohe Defizite, die 2007 auf den Maastricht-Satz von 3% gesunken waren, und seine Schuldenquote lag 2007 bei 68%. Von 2009 bis 2012 geriet Portugal in eine schwere Rezession:

  • Das BIP sank um mehr als 7% gegenüber dem Stand von 2007.
  • Die Arbeitslosenquote, die im Boom der Jahre vor der Krise bei 9% gelegen hatte, stieg auf 16%.
  • Sinkende Staatseinnahmen und insbesondere steigende Staatsausgaben ließen das Defizit auf über 11% des BIP anwachsen. 50% dieser Ausgabensteigerungen entfiel angesichts der hohen Arbeitslosigkeit auf Sozialausgaben.
  • Die Schuldenquote schnellte von 68% auf 131% um etwa 60% eines Jahres-BIP in die Höhe.


2012 entfielen ca. 25 Mrd. Euro zusätzlicher Staatsschulden auf finanzielle Krisenausgaben. Das waren 14% eines Jahres-BIP bzw. 26% der in der Krise hinzugekommenen Staatsschulden.


Angesichts dieser Verschuldung lag die jährliche Bruttokreditaufnahme des portugiesischen Staates 2010 bei rund 34% des BIP. Anfang 2011 näherten sich die Zinsen für portugiesische Staatsanleihen den 10%, um am Jahresende in der Spitze 14% zu erreichen. Im April 2011 beantragte die portugiesische Regierung Kredithilfe aus dem Rettungsschirm. Im Frühjahr 2014 hat Portugal den Rettungsschirm wieder verlassen, nach dem diese Zinssätze unter 5% gefallen waren.


Anders als in Irland war diese Krise Portugals weniger von Bankenrettungen geprägt. Sie war eine Reaktion auf die Rezession, die die weltweite Finanzkrise in Portugal ausgelöst hatte. Ausgehend von einer hohen Staatsverschuldung vor der Krise ist die portugiesische Schuldenquote in der Rezession in einem Maße angewachsen, das der portugiesische Staat nicht aus eigener Kraft bewältigen konnte.



Griechenland – TabEx7.3.4

Die Intervention der Euro-Staaten während der griechischen Finanzkrise ist in der EU Gegenstand heftiger politischer Diskussionen gewesen. Deshalb wird hier den zugrundliegenden Fakten ein breiterer Raum eingeräumt.


Griechenland war 2001 aufgrund von Angaben über die Entwicklung seines Defizits in die EWU aufgenommen worden, die sich später als zu niedrig herausgestellt haben. Auch die Haushaltsdaten der Jahre 2001 bis 2009 erwiesen sich später als falsch. Die heute verfügbaren Daten sind von EUROSTAT korrigiert worden.


Im Oktober 2009 korrigierte die neugewählte griechische Regierung das bisher gemeldete aktuelle Haushaltsdefizit von 3,7% auf 12,7%. Danach stiegen die Zinsen für griechische Staatsanleihen auf dem internationalen Anleihemarkt sprunghaft an, von 4,6% im Oktober 2009 auf über 10% im Juli 2010 bis auf 29% im Februar 2012. Ende 2017, als das der griechische Haushalt erstmals ohne Defizit auskam, betrugen sie laut EUROSTAT 4,4%.


Die heute vorliegenden Daten sagen über die tatsächliche Situation der griechischen Staatsfinanzen vor der Finanzkrise folgendes:

  • Nach dem Beitritt zur EWU wuchs das griechische BIP mit beachtlichen Wachstumsraten, zwischen 2002 und 2009 preisbereinigt um 56%.
  • Die Staatseinnahmen wuchsen etwas schwächer als das Wirtschafts-wachstum, die Staatsausgaben doppelt so stark.
  • Das Haushaltsdefizit lag in den Jahren 2002 bis 2007 trotz des Booms ständig zwischen 6% und 8%.
  • Von den Ausgabensteigerungen seit 2002 entfielen fast 60% auf die Bereiche Gesundheit, Bildung und Soziales.
  • Die Schuldenquote stagnierte vor der Krise bei über 100%: das Wirtschaftswachstum kompensierte das Schuldenwachstums. Nominal wuchsen die Schulden in den Jahren vor der Krise aber um fast 50%.


Diese steigenden Ausgaben insbesondere für Gesundheit, Bildung und Soziales wurden faktisch auf Pump finanziert. Wie ein Konjunkturprogramm steigerten sie ihrerseits das Wirtschaftswachstum. Eine Rückführung des Defizits auf das in der EWU erlaubte Maß von 3% hätte 2009 entweder einen Abbau der überhöhten Staatsausgaben mit der Wirkung einer Rezession oder eine entsprechende Anhebung der Staatseinnahmen erfordert.


In dieser Situation brach die internationale Finanzkrise über das Land herein. Griechenland saß in der Schuldenfalle. 2010 brauchte es, um die fälligen Schulden zu tilgen und das neue Defizit zu finanzieren, neue Kredite in Höhe von 47% eines Jahres-BIP (Bruttokreditaufnahme). Unter solchen Umständen würde kein normaler Rentenfond griechische Staatspapiere kaufen. Nur wenige Spekulanten fanden an der griechischen Not Gefallen: so stiegen die Zinsen ins Unbezahlbare: von Ende 2009 5% bis Anfang 2912 29%. Griechenland war nicht mehr in der Lage, seine fälligen Anleiheschulden zu bezahlen.


Anfang 2010 beschlossen die Staaten der Euro-Zone einen Notfallplan, um einen griechischen Staatsbankrott zu vermeiden. Im April 2010 beantragte Griechenland Finanzhilfen. An Stelle der Gläubiger Griechenlands nahmen die Mitgliedstaaten der Euro-Zone, der von den USA dominierte Internationale Währungsfonds sowie die Europäische Zentralbank das Zepter über Griechenlands Staatsfinanzen in die Hand: die sogenannte Troika. Seitdem befand sich Griechenland jahrelang unter dem Druck der Troika, deren Bedingungen umzusetzen. In mehreren Tranchen nahm die Troika Kredite von insgesamt 322 Mrd. Euro auf, um es Griechenland zu ermöglichen, seine fälligen Schulden zu bezahlen. Sie zwang die griechischen Regierungen und das griechische Parlament zu einer rigorosen Sparpolitik sowie zum Verkauf von Staatsvermögen, um das laufende Defizit abzubauen und das Schuldenwachstum zu beenden. Dabei übernahm sie die direkte Kontrolle über Teile der griechischen Behörden.


Den griechischen Wunsch auf Schuldenerlass bzw. „Umstrukturierung“ der griechischen Schulden, den der IWF teilweise unterstützte, lehnten die europäischen Kreditgeber, insbesondere Deutschland, ab. Vordergründig ging es um die Ablehnung jeder Idee, die auf die „Bezahlung griechischer Schulden durch die europäischen Steuerzahler“ hinauslief. Grundsätzlich jedoch hätte jegliche Form der „Europäisierung“ nationaler Schulden die Doktrin der nationalen Haushaltsdisziplin von Maastricht unterhöhlt, auf der die Europäische Währungsunion beruhte: Jeder Mitgliedstaat der Währungsunion sorgt mit seiner nationalen Haushaltspolitik für die Stabilität seiner Finanzen.


Widerstrebend ließen sich die Euro-Staaten auf einen geringeren Schuldenschnitt zu Lasten der Gläubiger Griechenlands ein, mit dem Griechenland Schulden in Höhe von etwa 70 Mrd. Euro erlassen worden sind. Für die übrige Währungsunion hätte ein umfangreicher Schuldenerlass jedoch unannehmbare Folgen gehabt:

  • Der internationale Kapitalmarkt würde lernen, dass die EWU im Notfall einen Schuldenerlass für einen Mitgliedstaat unterstützen würde.
  • Dieses Risiko würde in die künftigen Anleihezinsen eingepreist. Die Zinsen für die Mitgliedstaaten mit hoher Staatsverschuldung würden steigen. Das galt besonders für Italien und Spanien.
  • Politiker in hoch verschuldeten Mitgliedstaaten könnten einen solchen Erlass ihrer Staatsschulden sogar anstreben.


2010 war es das Ziel der Euro-Staaten, einen griechischen Staatsbankrott und einen Austritt aus der Euro-Zone zu vermeiden. Einen solchen Grexit lehnten sowohl die griechischen Regierungen als auch die Mehrheit der griechischen Bevölkerung ab. Aus griechischer Sicht waren dessen ökonomische Perspektiven unerträglich. Unter diesen Umständen war es die Aufgabe der von den Euro-Staaten beauftragten Troika, die Bedingungen einer Sanierung der griechischen Staatsfinanzen zu formulieren.


Das Haushaltsproblem Griechenlands hatte darin bestanden, dass der Staat seine Ausgaben, nicht zuletzt seine Sozialleistungen, jahrelang mit enormen Defiziten finanziert hatte. Diese Defizite hatten über starke Multiplikator-Effekte eine Stärkung des Wirtschaftswachstums bewirkt. Als der Markt weitere Kreditaufnahmen unbezahlbar machte, war eine Beendigung dieser Defizite unabweisbar. Der griechischen Haushaltspolitik standen im Rahmen der EWU nur zwei Alternativen des Haushaltsausgleich zur Verfügung: Einnahmeerhöhungen oder Ausgabenkürzungen. Die Troika bevorzugte auf der Einnahmenseite Mehrwertsteuererhöhungen und die Privatisierung von Staatsvermögen, während Erhöhungen der Einkommens- und Vermögenssteuern zu Lasten der wohlhabenderen Schichten nicht ernsthaft in Erwägung gezogen wurden. Der Schwerpunkt der Troika-Bedingungen waren massive Ausgabenkürzungen, die mit dem gleichen Multiplikator das Wachstum und die Staatseinnahmen schrumpfen ließen, mit dem die vergangenen Ausgabensteigerungen Wirtschaftswachstum und Staatseinnahmen mobilisiert hatten. Diese Beendigung des Defizits führte die griechische Wirtschaft zwangsläufig in eine tiefe Depression.


Die von EUROSTAT korrigierte griechische Statistik zeigt für das Auf und Ab der Jahre 2001 bis 2016 folgender Zahlen – reales BIP und inflationsbereinigte Entwicklungen des griechischen Haushalts, jeweils 2001 = 100, Veränderungen in Prozent-Punkten, wobei 2009 das Jahr der Realitätsoffenbarung charakterisierte, danach die Wirkungen der Troika-Eingriffe bis 2016, dem ersten Jahr ohne griechisches Haushaltsdefizit:

                                                                         2001                    2009

                                                                         bis 2009              bis 2016

    BIP                                                               +21                      -28

    Staatseinnahmen insg.                             +16                       -13

    davon

        27% Mehrwertsteuern und Zölle                +7                        -12

        22% Einkommen- und 

        Vermögensteuern                                        +20                        -18

        32% Nettosozialbeiträge                            +28                        -22

        19% übrige Einnahmen                                +9                        -12


    Staatsausgaben insg.                                +42                        -51

    davon

        22% Verwaltung                                           +27                        -60

        6% Verteidigung                                           +55                        -86

        13% Gesundheitswesen                               +31                        -66

        8% Bildungswesen                                       +35                         -37

        34% Soziale Sicherung                                 +66                         -38

        17% übrige Ausgaben                                  +33                         -46


Die Politik der Troika ist vielfach kritisiert worden. Über ihre Leistungen ist schwer zu urteilen, da sie sich einer öffentlichen Kontrolle entzogen hat. Tatsächlich sind jedoch erhebliche Mängel und Fehler zu erkennen:

  • Die Hinzuziehung des IWF zu diesem politischen Sanierungsvorhaben hätte nur einen Sinn gemacht, wenn ein ernsthafter Schuldenerlass zulasten der privaten Gläubiger Griechenlands beabsichtigt worden wäre. Den aber lehnten die Euro-Staaten aus nachvollziehbaren Gründen ab.
  • Unter diesen Umständen war die Einbeziehung des IWF ein Fehler: Sie brach mit der europäischen Kultur öffentlicher Verantwortung und parlamentarischer Kontrolle und öffnete imperialistischen Mentalitäten einen prägenden Einfluss auf dieses politische Sanierungsvorhaben.
  • Im Rahmen politischer Willensbildung über die Bedingungen dieses Sanierungsvorhabens hatte die Europäische Zentralbank nichts verloren. Ihre angemessene Rolle wäre die der fachlichen Beratung und operationellen Unterstützung gewesen.
  • Art. 20 des EWU-Vertrages über die „Verstärkte Zusammenarbeit hätte die Einbindung der Organe der EU in dieses gemeinsame Vorhaben der Euro-Staaten ermöglicht. Eine Verstärkte Zusammenarbeit ist darauf ausgerichtet, „die Verwirklichung der Ziele der Union zu fördern, ihre Interessen zu schützen und ihren Integrationsprozess zu stärkend. Sie steht allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union jederzeit offen. Danach wäre der Rat der Euro-Group ein rechenschaftspflichtiges Organ der EU gewesen. Eine solche demokratisch legitimierte Organisierung der Finanzhilfen für Griechenland aber lehnten die Mitgliedstaaten der EWU ab.
  • Der faktische Ausschluss der Europäischen Kommission und die systematische Ignorierung ihrer Vorschläge war ein schädlicher Bruch mit den Prinzipien europäischer Willensbildung, und dass das Europäische Parlament seine prinzipielle Missachtung durch die Troika hingenommen hat, war ein schwerer politischer Fehler.
  • In diesem Sanierungsvorhaben standen sich Griechenland als Schuldner und die übrigen Euro-Staaten als Gläubiger gegenüber, und es ging um die Bedingungen, unter denen diese Gläubiger bereit waren, die griechischen Schulden auf dem internationalen Kapitalmarkt zu eigenen Lasten zu übernehmen. Die Formulierung dieser Bedingungen, bei denen es auch um die Verteidigung der Maastricht-Kriterien ging, hatte notwendigerweise einen ultimativen Charakter. Aber sie wären öffentlich zu rechtfertigen und zu diskutieren gewesen.
  • Die Qualität der vom Management der Troika entwickelten griechischen Sanierungsmaßnahmen hat sich als ungenügend erwiesen, als deren Wirkungsprognosen sich als falsch herausstellten. Eine laufende kritische Überprüfung des Sanierungsprozesses scheint nicht stattgefunden zu haben.
  • Es hätte wahrscheinlich alternative Sanierungskonzepte gegeben, die zweckmäßiger, erfolgreicher und überzeugender gewesen wären.
  • Natürlich besaß Griechenland das Recht, im Rahmen eines Referendums über die Annahme der Bedingungen der Gläubiger abzustimmen. Dass die EZB in den Tagen vor dem Referendum demonstrativ die tägliche Geldversorgung der griechischen Bevölkerung sperrte, war ein unsäglicher Missgriff, der einer politisch unabhängigen Behörde Europas nicht erlaubt sein kann.


Die Krise Griechenlands wurde durch die Finanzkrise ausgelöst. Aber ihre Ursachen lagen in einer jahrelangen Defizitfinanzierung des Wachstums seit 2001. Als diese Defizite nicht mehr bezahlt werden konnten, entstand die griechische Staatsschuldenkrise.



Italien – TabEx7.3.5

Der Name Italien wird oft genannt, wenn die Euro-Staaten mit instabilen Finanzen aufgezählt werden. Seine Schuldenquote betrug im Jahre 1999, als der Euro die nationalen Währungen ersetzte, 110% des italienischen BIP. Bis 2007 war diese übermäßige Schuldenquote auf knapp unter 100% gesunken. Aber Italien ist nie in die Nähe eines Rettungsschirms gekommen. Warum nicht? - Betrachten wir die charakteristischen Merkmale Italiens:

  • Die Rezession im Gefolge der Finanzkrise hat auch Italien schwer getroffen: bis 2013 ist das BIP um fast 9% gesunken.
  • Die Arbeitslosigkeit hat sich von 6,1% auf 12,1% verdoppelt.
  • Die Staatseinnahmen wurden allerdings von 45,3% auf 48,1% erhöht,
  • die Staatsausgaben von 46,8% auf 51,0%.
  • Das Defizit, das 2007 bei 1,5% gelegen hatte, erhöhte sich zwar bis 2009 auf 5,3%, wurde danach aber rasch wieder gesenkt, ab 2012 auf unter 3%.
  • Insgesamt stieg die Schuldenquote von 100% in 2007 auf 129% in 2013.


Die hohe Staatsverschuldung Italiens zog eine hohe jährliche Bruttokreditaufnahme von etwa 35% eines Jahres-BIP nach sich. Dennoch zeigte sich der internationale Kapitalmarkt italienischen Staatsanleihen gegenüber recht unbesorgt. Der höchste Zinssatz für italienische Staatsanleihen wurde Ende 2011 mit 7,1% notiert – siehe DiaEx7.3.8.



Deutschland – TabEx7.3.6

Während in den übrigen Mitgliedstaaten der EU die Folgekrisen der Finanzkrise bis 2015 andauerten, begleitet von hoher Arbeitslosigkeit, hat Deutschland die Folgen der Finanzkrise rasch überstanden:

  • Das reale BIP sank bis 2009 um fast 9%. Danach erholte es sich wieder.
  • Die Arbeitslosenquote stieg nur 2009 geringfügig an. Danach sank sie.
  • Dem entsprechend waren keine gestiegenen Sozialausgaben zu verzeichnen.
  • Das Defizit stieg bis 2010 auf 4,2%. Seit 2012 hat Deutschland kein Defizit mehr.


Der Kern dieser raschen Überwindung der Finanzkrise war die Vermeidung einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit. Zwar hatte die Finanzkrise in Deutschland die Exporte besonders stark getroffen, mit der Folge einer überdurchschnittlichen Rezession bis 2009. Aber mit Hilfe umfangreicher Kurzarbeit (EXKURS6.1), die von der Regierung stark gefördert wurde, wurden Massenentlassungen vermieden. So ist der mit erhöhter Arbeitslosigkeit verbundene Zweitrundeneffekt der Rezession in Deutschland ausgeblieben, der in den übrigen EU-Staaten die Krise vertieft hat.


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