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6.3. Der Multiplikator


Zusätzliche, von außen zufließende Mittel zum Kauf von Produkten und Dienstleistungen vergrößern den Geldkreislauf der Produktion. Sie sind „exogene. Es sind im allgemeinen Kredite, die die gekaufte Produktion erhöhen. Sie vergrößern das reale BIP.


Zusätzliche Ausgaben erhöhen das Sozialprodukt nicht nur unmittelbar. Sondern die Einkommen, die aus ihnen resultieren, ziehen weitere Ausgaben nach sich, und diese wieder Einkommen ..., wobei die Glieder dieser Wirkungskette immer kleiner werden. Das Ergebnis ist eine Erhöhung des BIP, die deutlich größer ist als die ursprünglichen kreditfinanzierten Ausgaben. Diese Wirkungskette multipliziert gleichsam den Primäreffekt um einen Multiplikator. Der Multiplikator einer exogenen Ausgabenerhöhung kann, je nach den Umständen, unterschiedlich groß sein. Er ist größer als 1, im Normalfall liegt er bei 2.


Erhöht der Staat seine Ausgaben, ohne zugleich seine Einnahmen zu erhöhen, erzeugt er also ein Defizit, dann erhöht er damit das BIP um einen Betrag, der dem Betrag des Defizits multipliziert mit dem Multiplikator entspricht. So beeinflussen kreditfinanzierte Ausgaben des Staates das BIP. Wenn der Staat seine Ausgaben erhöht und dies dagegen über erhöhte Steuern oder Sozialbeiträge finanziert, heben sich die erhöhte öffentliche Nachfrage durch eine verminderte private Nachfrage weitgehend auf.


Die Frage ist: Welchen Einfluss haben kreditfinanzierte Ausgabenerhöhungen oder Einnahmesenkungen tatsächlich auf das Wirtschaftswachstum? Dabei wird mitgedacht, dass Wachstumserhöhungen, wie wir festgestellt haben, Erhöhungen der Beschäftigung nach sich ziehen (Kap5.6.1).


Es gibt eine umfangreiche Literatur über die vermutete oder empirisch geschätzte Größe von Multiplikatoren von Staatsdefiziten. Die meisten Untersuchungen stammen aus den USA. Ihre Befunde unterscheiden sich erheblich, wobei unterschiedliche politische Standpunkte erkennbar ein Rolle spielen. Es gibt jedoch objektive Bedingungen, die die Größe dieser Multiplikatorwirkungen beeinflussen:

  • Ein Teil der zusätzlich erzeugten Einkommen wird für den Kauf von Importen ausgegeben. Dieser erhöht das BIP und die Beschäftigung in den Partnerländern des Außenhandels. Der Binnenwirtschaft geht diese Wirkung verloren. Es gilt: Je größer die Importquote eines Landes, desto kleiner ist dessen inländischer Multiplikator.(Tab6.3.1) Bei Deutschland fließen etwa 39% der fiskalpolitischer Effekte ins Ausland, bei den Niederlande sind es fast 72%. Das macht deutlich: je kleiner ein Land ist, desto größer sein Importanteil, desto weniger kann es mit fiskalpolitischen Eingriffen das inländische Wirtschaftswachstum beeinflussen. Am stärksten wirken solche Multiplikatoren angesichts einer Importquote von nur 16% in den USA, wo die Fiskalpolitik traditionell eine besondere Rolle spielt. Die meisten EU-Länder haben dagegen keinen oder nur geringen fiskalpolitischen Einfluss auf ihre Wirtschaft. Aber eine abgestimmte Fiskalpolitik aller EU-Mitglieder hätte, bei einem EU-Anteil externer Importe von ebenfalls 16%, eine ähnlich starke Wirkung wie in den USA.
  • Das Staatsdefizit erhöht das nominale BIP. Dies wird von Inflationseffekten begleitet, die zu Lasten des Multiplikators gehen. Plausibel ist, dass die Multiplikatoren in Zeiten einer Rezession deutlich größer sind als in Zeiten guter Konjunktur und hoher Kapazitätsauslastung, in denen ein Teil der zusätzlichen Nachfrage in Preissteigerungen verpufft.
  • Spezifische Bereiche des Staatshaushalts haben deutlich unterschiedliche Multiplikatoren. Am stärksten sind sie bei solchen Staatsausgaben, bei denen die zusätzlichen privaten Einkommen mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder ausgegeben werden. Wenn die Privaten in Krisensituationen zusätzliche Einnahmen sparen, verpufft die Multiplikatorwirkung. Arbeitslosenunterstützungen und Infrastrukturinvestitionen haben hohe Multiplikatoren, während etwa konjunkturpolitische Steuerrabatte (USA) weniger stark in den Konsum zurückfließen.
  • In einer Krise kommt es darauf an, möglichst rasch zu handeln, dh. möglichst rasch zusätzliches Geld auszugeben. Öffentliche Investitionen haben sicherlich einen großen Multiplikator, brauchen aber bis zu ihrer Umsetzung eine längere Vorbereitungszeit.
  • Zur Logik von konjunkturpolitischen Maßnahmen gehört es, dass sie befristet sind. Die Einstellung von zusätzlichen Staatsbediensteten wäre sicher sehr wirksam, ließe sich aber nur schwer befristen. Defizit-finanzierte Personalausgaben ließen sich nur schwer beenden. Deshalb eignen sich eher befristete Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder befristete Förderungen von Kurzarbeit.
  • Eine wichtige Bedingung für den Erfolg von Konjunkturprogrammen ist eine akkommodierende (unterstützende) Geldpolitik der Zentralbank. Die Geldpolitik beeinflusst den effektiven Multiplikator von Staatsausgaben – positiv oder negativ.


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