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7.7. Reformen zur Erneuerung der Stabilität


Nach der Finanzkrise bestand weltweite Einmütigkeit darüber, dass die Finanzmärkte dringend reformiert werden sollten. Die Krise hatte die Notwendigkeit einer systematischen Regulierung und strenger Kontrollen der Kapitalmärkte durch den Staat offengelegt. Dabei ging es um den Schutz der Gesellschaft vor schädlichen Auswirkungen der Kapitalmärkte, um den Schutz privater Anleger vor Betrug sowie um die strafrechtliche Verfolgung korrupter Praktiken. Einige besondere Probleme hat die Finanzkrise in den Blickpunkt gerückt:

  • Es ist nicht die Aufgabe des Staates, die Verlustrisiken von Geschäften auf dem Kapitalmarkt zu mindern. Aber dass eine Pleite großer privater Kapitalgesellschaften große Schäden für den Wirtschaftskreislauf, für Wachstum und Beschäftigung und für schutzwürdige Privatvermögen nach sich ziehen kann, macht diese Kapitalgesellschaften „too big to fail/fall. Der Staat war gezwungen, private Verluste mit öffentlichen Mitteln auszugleichen. Ein Ziel der Kapitalmarktreformen ist es, solche Risiken des Kapitalmarktes für Gesellschaft, Staat und Wirtschaft künftig zu unterbinden.
  • Finanzinstitute, die „too big to fail/fall sind, müssen besonders kontrolliert werden. Dabei geht es nicht nur um die schiere Größe einer Kapitalgesellschaft, sondern um deren Schadenspotenzial gegenüber schutzwürdigen Interessen.
  • Wenn die Gesetzgebung den Kapitalmarkt im öffentlichen Interesse regulieren will, stößt sie auf den Widerstand der organisierten Interessen der Großfinanz. Deren weltweiter Einfluss auf die Gesetzgebung ist besorgniserregend. Sie sind „too big to be ignoredt. Wo sich der Gesetzgeber vom „Sachverstand solcher Interessen beraten lässt, drohen Gefahren, wie die Geschichte der Deregulierungen in der jüngsten Vergangenheit gezeigt hat.
  • Die Deregulierung der Finanzmärkte war in den Jahren vor der Krise mit dem Verweis der heimischen Banken auf die „Wettbewerbsverzerrung durch schwächere Regeln im Ausland begründet worden. Wer zur Vorbedingung macht, dass notwendige Reformen weltweit durchgeführt werden, verhindert die Reformen. Wer die Wirtschaft seines Landes vor einer neuen Krise schützen will, muss die Geschäfte seiner nationalen Banken regulieren. Das geht nur gegen das Wehgeschrei der zu Regulierenden.


Ziel der Reformen des Kapitalmarktes ist es, solche Krisen für die Zukunft auszuschließen. Folgende Reformprinzipien dominierten in den Jahren nach der Krise die Agenda:

  • Um schutzwürdige private Vermögensanlagen zu schützen, ist ein geschützter Bereich zu organisieren, der privaten Anlegern offen steht, die dafür auf spekulative Gewinne verzichten. Wer spekulieren will, kann das außerhalb dieses Bereiches tun.
  • Dieser Bereich besteht aus Banken, die spezifischen staatlichen Regulierungen und Kontrollen unterworfen sind. Ihre Einlagen dürfen nicht dem Kapitalmarkt zufließen. So bleiben sie von eventuellen Finanzkrisen unberührt.
  • Finanzinstitute, die „too big to fail sind, müssen besonders kontrolliert werden. Besser sollte es heißen: „too interconnected to fail. Es geht es um eine Kontrolle der Vernetzung von Banken mit dem globalen Finanzsystem. Es geht darum, keine finanzielle Verflechtung des freien Kapitalmarktes mit schutzwürdigen Interessen zuzulassen.


Diesen Prinzipien würde ein Trennbanken-System entsprechen, das durch eine strikte Trennung schutzwürdiger Banken von Investment-Banken charakterisiert ist. Der Liikanen-Report im Auftrag der EU-Kommission schlug eine modifizierte Fassung dieses Systems vor, wonach innerhalb einzelner Banken das traditionelle Bankgeschäft streng von den Investment-Geschäften zu trennen sei. Die Einlagen der Sparer dürften nicht zur Finanzierung von Investment-Geschäften verwendet werden. Der Investment-Teil müsse Konkurs gehen können, ohne dass der übrige Teil der Bank in Mitleidenschaft gezogen würde.


Die deutsche Bundesregierung hat das Trennbanken-Prinzip akzeptiert, und 2013 hat der Bundestag ein „Trennbankengesetz“ verabschiedet. Es geht nicht so weit wie die Liikanen-Vorschläge. Die Abtrennung („Abschirmung“) riskanter Investment-Geschäfte wird einer Bank nur vorgeschrieben, wenn diese mehr als 20% ihrer Bilanzsumme ausmachen oder 100 Mrd. Euro pro Jahr überschreiten. Das betrifft nur wenige deutsche Großbanken, vor allem die Deutsche Bank. Die Umsetzung des Gesetzes sollte bis Sommer 2017 vollzogen sein. Inzwischen befindet sich die Deutsche Bank in einem Umstrukturierungsprozess – quasi unter den Augen der Finanzaufsicht.


Die EU-Finanzminister haben sich im Juni 2015 auf einen Gesetzentwurf zur Trennung riskanter Bankgeschäfte von den Spareinlagen der Kunden geeinigt, mit Sonderregeln für das Vereinigte Königreich. Von dem Gesetz würden die rund 30 größten Banken der EU betroffen sein. Banken mit 70 bzw. 100 Milliarden Euro Handelsgeschäft pro Jahr sollten der Kontrolle einer Aufsichtsbehörde unterworfen und zur Separierung des Eigenhandels gezwungen werden. Gegenüber Banken oberhalb dieser Grenze könnten von den Aufsichtsbehörden Maßnahmen zur Minderung der Risiken erzwungen werden.


Angesichts anhaltenden Widerstandes hat die EU-Kommission nach zwei Jahre langen Verhandlungen den Entwurf eines Trennbankensystems in aller Stille wegen fehlender Realisierungschance zurückgezogen. Wieder einmal ist ein Gesetzgeber vor dem Druck der Bankenlobby eingeknickt.


In Reaktion auf die Finanzkrise sind allerdings vielfältige internationale Reformen beschlossen worden, insb. im Rahmen der EU.

  • Unter der Überschrift Basel III (Note7.7.1) wurde im Dezember 2010 ein neues Regelwerk veröffentlicht, das seit Anfang 2013 als internationaler Standard gilt. Der Europäischen Bankenunion (EU und EWU) sind spezifische nationale Kompetenzen übertragen worden. Zu ihr gehören:
    • eine zentrale Bankenaufsicht über Großbanken in der Eurozone durch die EZB,
    • ein Bankenabwicklungsmechanismus zur Abwicklung notleidender Banken,
    • eine gemeinsame Einlagensicherung, steht noch aus,
    • einheitliche Regelwerke.
  • Daneben wurde zur Kontrolle der Staatsschulden ein Europäischer Fiskalpakt geschlossen, in dessen Rahmen auch die Schutzmaßnahmen zur Sicherung der Zahlungsfähigkeit von Mitgliedstaaten der EU ergriffen worden sind (Rettungsschirme).


Insgesamt hat sich einiges bewegt. Die Aufsicht über die Banken ist verbessert worden. In Krisenfällen kann die Bankenaufsicht Anordnungen gegenüber Banken aussprechen. Aber der Kern des Problems ist nicht wirksam angegangen worden: Gesellschaft und Wirtschaft bleiben weiterhin ernsthaft bedroht von privaten Bankinstituten, die „to big to fail“ geblieben sind.


Keinen Erfolg hatten die verbreiteten Forderungen nach einer nachhaltigen Reform des Ratings von Kreditnehmern. Die Lobbies der Agenturen haben diese Reformen verhindert. Die EU hat 2013 eine Verordnung erlassen, die zahlreiche kleinere Verbesserungen enthielt, u.a.

  • Ratingagenturen dürfen keine Unternehmen bewerten, an denen Anteilseigner der Agenturen mit 10% oder mehr beteiligt sind.
  • Sie haften bei vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Falschinformationen.
  • Finanzinstitute und Anleger müssen ihre eigene Kreditbewertung durchführen. Dadurch soll die Bedeutung der herkömmlichen Ratings gemindert werden.


Aber es bleibt beim Oligopol der großen us-amerikanischen Agenturen.


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