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4.8. Einkommensverteilung


Die Einkommen verteilen das Bruttoinlandsprodukt.


Bemerkenswert ist die Entwicklung der primären Einkommensverteilung in Deutschland zwischen 1991 und 2007 (näheres EXKURS 5.3), (Dia4.8.1). In dieser Zeit sind die Anteile der Arbeitnehmerentgelte am BIP von 54,1% auf 47,6% gefallen. 2008 und 2009 haben sich diese Veränderungen deutlich zurückgebildet. Danach haben sich die Anteile der Arbeitnehmerentgelte bis 2016 stabil gehalten bei 50%. Die Bruttoresidualeinkommen (Bruttobetriebsüberschüsse, Selbständigen- und Vermögenseinkommen einschl. Abschreibungen) entwickelten sich spiegelbildlich.


In der EU28 lagen die Anteile der Arbeitnehmerentgelte recht stabil bei 47% des BIP, die der Bruttoresidualeinkommen bei knapp unter 40%.


Im Vergleich Deutschland und EU entwickelten sich die Einkommen, nominal ohne Berücksichtigung der Inflation, zwischen 2002 und 2016 wie folgt (Veränderungen in %):

                                                                                                    DE            EU28

    Bruttolöhne und -gehälter                                               +41,6%       +41,0%

    Bruttolöhne und -gehälter pro Arbeitnehmer              +28,2%       +29,1%

    Bruttolöhne und -gehälter pro Arbeitsstunde              +33,4%       +32,3%

    Bruttoresidualeinkommen (incl. Abschreibungen)     +43,0%       +43,1%

    Nettoresidualeinkommen (Gewinne)                            +39,6%       +35,4%.



Die Leistung der Arbeitnehmer wird pro geleistete Arbeitsstunden gerechnet. Und um sie mit der BIP-Entwicklung vergleichbar zu machen, müssen die Löhne und Gehälter preisbereinigt werden (Veränderungen von 2002 bis 2016 in %): (Dia4.8.2)

    reales BIP-Wachstum pro Arbeitsstunde                        +12,1%      +12,0%

    reale Bruttolöhne und –gehälter pro Arbeitsstunde       +8,9%        +2,9%.


In Deutschland stagnierten die Reallöhne bis 2007. Seitdem wachsen sie stärker als das reale BIP pro Arbeitsstunde. In der EU stagnieren die Reallöhne seit 2002. Dieses deutliche Zurückbleiben der realen Stundenlöhne hinter dem Wirtschaftswachstum pro Arbeitsstunde in der EU ist eine Folge der Finanzkrise.


Diese Daten der VGR kennzeichnen jedoch nur die ungleiche Entwicklung von Arbeitnehmereinkommen und Unternehmer- und Vermögenseinkommen. Über die Ungleichentwicklung der Einkommen von Personen benötigen wir Daten, die auf Befragungen beruhen.


Alle Befragungen nach der Höhe des Einkommens oder des Vermögens haben ein grundsätzliches Dilemma: Weil die Zahl der Superreichen so gering ist, kommen diese in einem normalen Befragungssample nicht vor. 1000 normalverteilte Haushalte beispielsweise, die in einem Befragungssample erfasst sind, repräsentieren ein Vermögen von 500 Mio. €. Wenn zufällig einer der 200 deutschen Milliardäre in dieses Sample gerutscht wäre, käme eine völlig verzerrte Vermögensverteilung heraus. Dieses Problem zwingt die Statistiker, bei derartigen Befragungen die Spitzen von Einkommen und Vermögen außer Betracht zu lassen. Deshalb muss man sich klar machen: Verteilungsschätzungen aufgrund von Befragungen sind am oberen Rand unbestimmt. Auf die absoluten Verteilungsmaße kommt es aber hier auch nicht an, wohl aber auf deren Unterschiede zwischen Ländern und deren Veränderungen zwischen Perioden.


Im Rahmen seiner Einkommens- und Verbrauchsstichprobe liefert das Statistische Bundesamt Angaben über das Maß der Ungleichverteilung der Einkommen von privaten Haushalten in Deutschland. Daraus lässt sich der Gini-Koeffizient errechnen, ein wissenschaftliches Maß für die Gleichheit der Verteilung. Dieses Maß bewegt sich zwischen Null = vollkommene Gleichverteilung und 1 = vollkommene Ungleichverteilung.


Im Jahre 2003 ergab sich für die Verteilung der Haushaltsnettoeinkommen in Deutschland ein Gini-Koeffizient von 0,336. Das kennzeichnet die deutsche Einkommensverteilung zwischen den Extremen 0 und 1. Ob das viel ist oder wenig, sei dahingestellt. Bemerkenswert ist der Vergleich der Gini-Koeffizienten unterschiedlicher Zeitpunkte, der die Entwicklung der Einkommensverteilung charakterisiert. Die Stichproben ergaben folgende Gini-Koeffizienten: (Dia4.8.3 und Dia4.8.4)

  • für 2003: 0,336
  • für 2008: 0,349, das ist eine Zunahme der Ungleichheit um 4,1%,
  • für 2013: 0,344, das ist eine Abnahme der Ungleichheit um 1,4%.

Das bedeutet: Zwischen 2003 und 2008 hat die Ungleichheit der Einkommensverteilung in Deutschland deutlich zugenommen. Zwischen 2008 und 2013 hat sie dagegen leicht abgenommen, allerdings nur in den Bereichen der hohen Einkommen. In den unteren Einkommensbereichen ist die Ungleichheit der Einkommensverteilung relativ unverändert geblieben.


Diese Entwicklung bestätigt ein Vergleich der Einkommensentwicklung der befragten Haushalte weitgehend (Veränderungen) (Note4.8.1):

                                                                                        2003-08            2008-13

    Alle Haushalte                                                            +2,9%               +7,5%

    Selbständigenhaushalte                                             -2,2%                 -1,3%

    BeamtInnen                                                                  -2,0%                +8,2%

    Angestelltenhaushalte                                               +0,9%                +7,9%

    ArbeiterInnenhaushalte                                           +11,0%                +7,4%

    Arbeitslosenhaushalte (EXKURS     5.1)                    - 25,1%                +5,8%

    RentnerInnenhaushalte (EXKURS 4.2)                    +4,5%                +4,2%

    PensionärInnenhaushalte                                          +7,8%                +1,9%.

Der Einkommensrückgang der Arbeitslosenhaushalte zwischen 2003 und 2008 dürfte eine Wirkung der Hartz-Reformen sein.


Aus der deutschen VGR ergänzen Angaben zur Lohn- und Gewinnentwicklung das Bild:

                                                                                       2003-08            2008-13

    reale Stundenlöhne insgesamt                                 -4,8%                +6,4%

    reale Stundenlöhne Produzierendes Gewerbe      -0,2%                +4,4%

    reale Stundenlöhne Unternehmensdienstleister   -5,8%                +9,4%

    Selbständigeneinkommen                                        +3,4%                -7,0%

    übrige Gewinneinkommen (ohne 

    Selbständigeneinkommen)                                      +28,9%                -7,7%.

(für 2003-08 vgl. auch EXKURS 5.3)


Schließlich zeigt auch die Beobachtung der prekären Einkommensverhältnisse ein ähnliches Muster. Die Zahl der ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten, im Juni 2003 4,4 Mio., stagniert seit 2008 bei knapp unter 5 Mio. Und die Zahl der erwerbstätigen Leistungsempfänger hat im Juni 2010 mit 1,4 Mio. ihren Höchststand erreicht und sinkt seitdem tendenziell.


Alle diese Befunde deuten darauf hin, dass zwischen 2003 und 2008 in Deutschland die Ungleichheit der Einkommen zugenommen hat, dass sich dieser Trend aber nach 2008 nicht fortgesetzt und in einzelnen Bereichen sogar zurückentwickelt hat.


Es gibt zahlreiche internationale Vergleiche von Gini-Koeffizienten der Einkommenverteilung. EUROSTAT liefert Zeitreihen der Gini-Koeffizienten des verfügbaren Äquivalenzeinkommens:

                                                                        2008                      2013

    EWU                                                          0,305                     0,306

    Deutschland                                             0,302                     0,297

    Irland                                                        0,299                      0,307

    Griechenland                                           0,334                      0,344

    Spanien                                                     0,324                      0,337

    Frankreich                                                0,298                      0,301

    Italien                                                        0,312                      0,328

    Portugal                                                    0,358                      0,342

    Vereinigtes Königreich                           0,330                      0,302.

Es ist bemerkenswert, wie nahe die Verteilungsmaße in der EU bei einander liegen.


Geradezu dramatisch wirkt sich die ungleiche Einkommensverteilung allerdings auf die Sparquote aus, dh. auf die Vermögensbildung. Da die Sparquote mit der Einkommenshöhe wächst, potenziert dies die Ungleichverteilung der Vermögensbildung.


Die Einkommens- und Verbrauchstichprobe des Statistischen Bundesamtes gliedert die deutschen Haushalte in 7 Einkommensklassen (Monatseinkommen) und weist jeweils deren Ersparnis (Bildung von Geld- und Sachvermögen incl. Zins und Tilgung von Kredite) aus – hier 2013 in % des Haushaltsnettoeinkommens – siehe Dia4.8.5:

    alle Haushalte                     +10,2%

    unter 900€                             -19,0%

    900€ bis 1.500€                      -4,9%

    1.500€ bis 2.000€                   -4,6%

    2.000€ bis 2.600€                  +1,7%

    2.600€ bis 3.600€                  +5,3%

    3.600€ bis 5.000€                +10,5%

    5.000€ bis 18.000€              +21,0%.


Eine ungleiche Einkommensverteilung und eine vom Einkommen abhängende ungleiche Sparquote ziehen eine potenzierte Ungleichheit der Vermögensbildung nach sich. War der Gini-Koeffizient der Einkommensverteilung 2013 0,344, so lieferte die Verteilung der Ersparnis- bzw. Vermögensbildung, bei der die privaten Versicherungsansprüche nicht einbezogen worden sind, einen Gini-Koeffizienten von 0,805. Die Verteilungskurve der Ersparnisse Dia4.8.6 bietet im Kontrast der Verteilungskurve der Einkommen Dia4.8.4 ein eindrucksvolles Bild: eine positive Vermögensbildung findet nur bei den oberen 40% der Haushalte statt.


Allerdings macht in Deutschland die jährliche volkswirtschaftliche Ersparnis von 12% des BIP (2016) bei einem Nationalvermögen von 700% des BIP nur einen Anteil von 1,7% des Vermögens aus (Kap.7.2). Die Vermögen der einzelnen Haushalte resultieren nicht nur aus der Ersparnis, sondern auch aus der Vererbung. Bei einer durchschnittlichen Lebensdauer von 80 Jahren werden in Deutschland jährlich etwa 9% des BIP vererbt. Das waren 2017 280 Mrd. Euro.


Es gibt zahlreiche auf Befragungen beruhende Erhebungen über die Vermögensverteilung in Deutschland mit unterschiedlicher Erfassung der Vermögen. So lieferte dieVermögensbefragung der Bundesbank aus 2014 eine Verteilung der Nettovermögen zwischen den privaten Haushalten mit einem Gini-Koeffizient 0,723 (Dia4.8.7). Sie zeigt, dass 40% der Haushalte mit den niedrigen Einkommen kein Nettovermögen, die letzten 10% dagegen 60% der Nettovermögen besitzen. In dieser Erhebung sind auch die privaten Versicherungsansprüche einbezogen worden.


Während Befragungen am oberen Rand der Einkommensverteilung Unschärfen zeigen, liefern sie über die Armut sehr klare Ergebnisse. Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (Note4.8.2) berichtet ausführlich über die Menschen in Deutschland mit einem „Armutsrisiko“. Der Anteil von Personen mit einem Armutsrisiko bedeutet: Nettoäquivalenzeinkommen unterhalb 60% des Einkommensmedian.

                                                       2000            2005            2010           2014

    Bevölkerung                            11,5%          14,1%          14,1%         15,5%

    Erwerbstätige                            6,4%            8,1%            8,2%           9,2%

    Arbeitslose                               33,9%          48,0%          57,6%         58,2%

    65 Jahre und älter                    11,9%          11,8%          13,9%         13,7%.

Die deutliche Armutszunahme bei den Arbeitslosen in den Jahren 2005 bis 2010 war ein beabsichtigtes Resultat der Hartz IV-Reformen (EXKURS 5.1)


Die meisten der Menschen mit einem Armutsrisiko, 9 bis 10 % der Bevölkerung, können von ihrem Arbeitseinkommen nicht leben und erhalten öffentliche Unterstützungen – „Mindestsicherung“.


Und dieses Armutsrisiko bedeutet materielle „Entbehrungen“: In 4 von 9 ausgewählten Ausgabenbereichen (zB. kein Telefon, finanzielle Probleme mit Miete und Heizung, keinen Urlaub an anderem Ort) litten 2015 Entbehrungen:

    Bevölkerung                 4,5%

    Erwerbstätige               2,2%

    Arbeitslose                  30,1%

    65 Jahre und älter         2,4%.


2015 wurde zur Verbesserung der Entlohnung im unteren Lohnbereich ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50€ pro Stunde eingeführt. 2017 wurde er auf 8,84€ angehoben. Lt. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung haben 4 Millionen Arbeitnehmer davon profitiert, das sind ca. 10% aller Arbeitnehmer. Und die vielfach geäußerten Befürchtungen, der Mindestlohn würde die Beschäftigung senken und die Arbeitslosigkeit erhöhen, haben sich nicht bewahrheitet. Zu erwarten wäre deshalb, dass sich das Armutsrisiko von gering verdienenden Arbeitnehmern in jüngster Zeit verringert hat.


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