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5.6. Beschäftigung


5.6.1. Befunde: Wachstum und Beschäftigung

Das deutsche Stabilitäts- und Wachstumsgesetz nennt als politisches Ziel einen hohen Beschäftigungsstand, während der EU-Vertrag Vollbeschäftigung anstrebt.


Über die Menge der Beschäftigung entscheiden die Unternehmungen im unmittelbaren Zusammenhang mit ihren Produktionsentscheidungen. Insofern ist die Beschäftigungsentwicklung abhängig von der Produktionsentwicklung.


Die Entwicklungen der Beschäftigung hängen vor allem vom Wirtschaftswachstum ab – siehe Dia5.6.1. In Deutschland, wo 80% aller Erwerbstätigen Arbeitnehmer sind, zeigt sich der Zusammenhang von Wachstum und Beschäftigung am deutlichsten, wenn man die Veränderungen der Letzten Verwendung des BIP (BIP ohne Abzug der Importe) mit den Veränderungen der geleisteten Arbeitnehmerstunden korreliert:

1. Deutschland 2000-2014: Quartalsdaten, Veränderungen gegenüber Vorjahr (F.DE.1.00-14)

Abhängig: Arbeitnehmerstunden

  • a) Die Letzte Verwendung des BIP, preisbereinigt, hat einen hoch signifikanten, dominanten Einfluss auf die Arbeitnehmerstunden.


Im internationalen Vergleich ist die Zahl der Erwerbstätigen als Maß der Beschäftigung vorzuziehen, weil in einigen Ländern, besonders mit hohem Agraranteil, die Selbständigen eine zahlenmäßig größere Rolle spielen. Der Vergleich verschiedener Perioden und Staaten bringt ähnliche Zusammenhänge wie Test 1:

2. Deutschland 1991-2014: Jahresdaten, Veränderungen gegenüber Vorjahr (F.DE.4.91-14)

Abhängig: Erwerbstätigenstunden

  • a) Die Letzte Verwendung des BIP, preisbereinigt, hat einen hoch signifikanten und hoch dominanten Einfluss auf die Erwerbstätigenstunden.


3. Deutschland 1970-91: Jahresdaten, Veränderungen gegenüber Vorjahr (F.DE.3.70-91)

Abhängig: Erwerbstätigenstunden

  • a) Die Letzte Verwendung des BIP, preisbereinigt, hat einen hoch signifikanten und hoch dominanten Einfluss auf die Erwerbstätigenstunden.


4. EU28 2000-14: Quartalsdaten, Veränderungen gegenüber Vorjahr

Abhängig; geleistete Erwerbstätigenstunden, nicht saisonbereinigt,

summarische Zusammenfassung der Ergebnisse:

  • a) Von 27 Tests einzelner Staaten sind 18 hoch signifikant, 5 signifikant, 2 schwach signifikant und 1 nicht signifikant.
  • b) Der Einfluss der Letzten Verwendung, preisbereinigt, saisonbereinigt, ist bei 1 Staat hoch dominant, bei 7 dominant. 9 Staaten zeigen einen mittleren und 8 einen geringen Einfluss.


5. USA 1990-14: Jahresdaten, Veränderungen gegenüber Vorjahr (F.US.4.90-14)

Abhängig: Erwerbstätigenstunden

  • a) Die Letzte Verwendung des BIP, preisbereinigt, hat einen hoch signifikanten und hoch dominanten Einfluss auf die Erwerbstätigenstunden.


6. USA 1970-90: Jahresdaten, Veränderungen gegenüber Vorjahr (F.US.3.70-90)

Abhängig: Erwerbstätigenstunden

  • a) Die letzte Verwendung des BIP, preisbereinigt, hat einen hoch signifikanten und hoch dominanten Einfluss auf die Erwerbstätigenstunden.


Insgesamt können wir, auch im internationalen Vergleich, feststellen, dass die Entwicklung der Beschäftigung, ausgedrückt in Arbeitnehmerstunden oder Erwerbstätigenstunden, vom realen Wirtschaftswachstum bestimmt wird.


Arbeitsproduktivität ist die preisbereinigte Produktion pro Beschäftigtem bzw. pro Beschäftigtenstunde. Produktivitätswachstum bedeutet, dass die Produktion stärker wächst als die Beschäftigung. Definitionsgemäß ist das Beschäftigungswachstum gleich dem Wirtschaftswachstum minus dem Produktivitätswachstum. Das Produktivitätswachstum ist allerdings kein eigenständiger Prozess, sondern nur das Divisionsergebnis aus dem Wirtschaftswachstum und dem Beschäftigungswachstum.


Als Ursachen der langfristigen Produktivitätsentwicklung werden vor allem die Effekte der Anlageinvestitionen angesehen, aber auch Qualifizierung der Arbeit und organisatorische Modernisierungen. Diese gedachte Produktivitätsentwicklung wird als langfristiger Trend interpretiert (Dia5.6.2) (Note5.6.1). Die angemessene statistische Methode zur Bestimmung dieses Trends ist die Glättung der laufenden Produktivitätswerte mit dem Hodrick-Presscot-Filter.


Fügt man diesen Produktivitätstrend neben dem Wirtschaftswachstum in die Schätzung der Bestimmungsgründe des Beschäftigungswachstum ein, so ergibt sich:

7. Deutschland 2000-14: Quartalsdaten, Veränderungen gegenüber Vorjahr (F.DE.1a.00-14)

Abhängig: Arbeitnehmerstunden

  • a) Die Letzte Verwendung des BIP, preisbereinigt, hat einen hoch signifikanten und hoch dominanten Einfluss auf die Arbeitnehmerstunden;
  • b) Er wird um den Einfluss des Produktivitätstrends gemindert.
  • c) Gegenüber Test 1 verbessert diese Bereinigung um den Produktivitätstrend den Einfluss der Letzten Verwendung auf die Arbeitnehmerstunden.


Als Beschäftigungsschwelle bezeichnet man die Wachstumsrate, bei der die Beschäftigung konstant bleibt beziehungsweise unterhalb derer die Beschäftigung sinkt. Ihr empirisches Maß ist langfristig der Trend der Produktivitätsentwicklung. Die langfristige Beschäftigungsschwelle sinkt in Deutschland tendenziell. Sie betrug

  • 1992         2,2%,
  • 2000         2,1%,
  • 2007         0,8%,
  • 2015         0,6%.

Während 1992 ein Wirtschaftswachstum von mehr als 2,2% erforderlich war, damit die Beschäftigung wuchs, reicht gegenwärtig bereits eine Wachstumsrate von über 0,6% aus, um die Beschäftigung zu erhöhen. Die viel bestaunte aktuelle Beschäftigungsentwicklung in Deutschland ist nicht zuletzt ein Effekt eines schwachen Produktivitätswachstums.



5.6.2. Befunde: Löhne und Beschäftigung

Tarifverträge beeinflussen die Lohnentwicklung ganz wesentlich. Zwar sinkt die Tarifbindung der Arbeitsverhältnisse in Deutschland tendenziell. Aber 2017 waren laut IAB-Betriebspanel 55% aller Arbeitnehmer in tarifgebundenen Betrieben beschäftigt. Darüber hinaus orientierten sich die Arbeitgeber von 23% der Arbeitnehmer informell an einem Tarifvertrag, sodass die Löhne von 78% der Arbeitnehmer von Tarifen geprägt waren.


Allerdings drücken Löhne die Arbeitskosten pro Arbeitnehmer oder pro Arbeitnehmerstunde aus. Orientiert an ihrem Gewinnkalkül variieren die Unternehmen ihre Arbeitnehmerentgelte, die sie bezahlen, auch über Variierung der Beschäftigung. Der Druck der Löhne kann sie veranlassen, ihre Beschäftigung zu senken und damit ihre Produktion zu drosseln oder die Produktivität zu erhöhen.


Diese Zusammenhänge muss man im Auge behalten, wenn man der Frage nachgeht: Welchen Einfluss haben die Entwicklungen von Löhnen und der Gewinnen auf die Beschäftigung? – Spontan würde erwartet, dass die Löhne einen negativen und die Gewinne einen positiven Einfluss auf die Beschäftigung haben. Es gibt vorschnelle Antworten, die sich auf den Vergleich der Veränderungen der Stundenlöhne oder der Monatslöhne mit den Veränderungen der Beschäftigung stützen. Aber ein solcher Ansatz führt ins Leere:

  • Wenn beispielsweise im Aufschwung die Zahl der Beschäftigten bzw. der Arbeitsstunden wächst, ohne dass die Löhne verändert werden, sinken dabei rechnerisch die Löhne pro Beschäftigten bzw. pro Beschäftigtenstunden – im Abschwung vice versa. Dieser konjunkturelle Zusammenhang von Löhnen und Beschäftigung drücken keine Wirkung der Lohnentwicklung auf die Beschäftigungsentwicklung aus.


Die Tests 1 bis 7 zeigen den hohen Einfluss des Wirtschaftswachstums auf die Beschäftigung. Um daneben den Einfluss der Arbeitskosten zu beobachten, stützen wir uns auf die Daten der Bruttowertschöpfung, die das Wirtschaftswachstum ohne die Verteuerungseffekte der indirekten Steuern beschreiben.


Zerlegen wir, unter Verzicht auf die Preisbereinigung, die nominale Bruttowertschöpfung in ihre Bestandteile - Arbeitnehmerentgelte einerseits und Bruttoresidualeinkommen andererseits - und messen deren Zusammenhang mit der Beschäftigung, so erhalten wir folgende Ergebnisse:

8. Deutschland 2000-14: Quartalsdaten, Veränderungen gegenüber Vorjahr

Abhängig: Arbeitnehmerstunden

  • a) Die Arbeitnehmerentgelte haben einen hoch signifikanten, dominanten, positiven Zusammenhang mit der Beschäftigung (F.DE.5.00-14).
  • b) Die Bruttoresidualeinkommen haben ebenfalls einen hoch signifikanten, mittleren, positiven Zusammenhang mit der Beschäftigung (F.DE.6.00-14).

Das bedeutet: Wachsende Beschäftigung werden von wachsenden Arbeitnehmerentgelten begleitet, aber ebenso von wachsenden Gewinnen. Und das umgekehrte gilt für sinkende Arbeitnehmerentgelte und für sinkende Residualeinkommen.


Dies ist nicht überraschend, aber bemerkenswert: Sowohl die Arbeitnehmerentgelt als auch die Residualeinkommen haben einen positiven Zusammenhang mit den Arbeitnehmerstunden. Die Unternehmungen entscheiden gleichzeitig über den Arbeitseinsatz in der Produktion und über die dafür zu bezahlenden Arbeitnehmerentgelte. Mit dieser Entscheidung legen sie ihren Beitrag zum laufenden BIP fest. Und über die Arbeitnehmerentgelte beeinflussen sie die Entwicklung der Konsumausgaben.


An den Konsumausgaben der privaten Haushalte haben wir gesehen, dass wachsende Arbeitnehmerentgelte, die von den Unternehmen bezahlt werden, die Umsätze der Unternehmen erhöhen und damit zum Wachstum beitragen. Das Wachstum wird, abhängig von der Produktivitätsentwicklung, positiv von der Beschäftigungsentwicklung begleitet.


Wir kommen weiter unten darauf zurück, wenn wir Arbeitnehmerentgelte und Gewinne im Konjunkturzusammenhang betrachten (Kap.5.7). Hier halten wir fest:

  • Wachsende Arbeitnehmerentgelte sind ebenso positiv mit wachsender Beschäftigung verbunden wie wachsende Gewinne.



5.6.3. Befunde: Arbeitsangebot, Arbeitsnachfrage und Arbeitslosigkeit

Über den Zusammenhang von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage und über die Wirkung der Lohnhöhe gibt es zahlreiche spekulative Theorien. Zwei Exkurse illustrieren das Verhältnis von Theorie und Wirklichkeit in Bezug auf das Thema Arbeitslosigkeit und Lohnhöhe:

  • EXKURS 5.1: Die Hartz-Reformen, verwendet die folgenden Befunde zur Prüfung der Wirkungen der Hartz-Reformen,
  • EXKURS 5.2: Arbeitslosigkeit und Lohnhöhe – theoretische Interpretationen und Wirklichkeit, schildert ein Beispiel für die Behandlung der Arbeitslosigkeit durch die Wirtschaftstheorie.


Das Arbeitsangebot ist gleich der Summe aus Beschäftigten und Arbeitslosen. Die Arbeitslosenquote als der gängige quantitative Ausdruck der Arbeitslosigkeit ist dem entsprechend der Quotient aus

  • Arbeitslosen und
  • der Summe aus Beschäftigten und Arbeitslosen.

Die Arbeitslosen sind der Teil des Arbeitsangebots, den die Arbeitgeber nicht haben wollen – aus welchen Gründen auch immer. Sie sind der Teil des Arbeitspotentials, dessen Einstellung letztlich vom Wachstum abhängt.


Die Beschäftigung wird von den Arbeitgebern bestimmt. Man spricht hier von Arbeitsnachfrage. Ihre Arbeitsnachfrage ist größer als ihre Beschäftigung, wenn sie weniger Arbeitnehmer finden und einstellen, als sie suchen. Ein solcher Arbeitskräftemangel behindert und begrenzt das Beschäftigungswachstum. Messen bzw. beobachten lässt sich die Arbeitsnachfrage jedoch nicht: Es existiert in Deutschland keine realistische Statistik der „offenen Stellen“. 2018 gab es in Deutschland 800 Tausend „gemeldete“ offene Stellen. Demgegenüber haben allein etwa 6 Millionen Arbeitsplatzwechsel stattgefunden. Deshalb können wir die Abhängigkeit der Arbeitslosigkeit von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage nicht statistisch messen.


Wie wir gesehen haben, hängt die Beschäftigungsentwicklung vom wirtschaftlichen Wachstum ab. Die Arbeitslosigkeit dagegen hat zwei unterschiedliche Determinanten: das Arbeitsangebot auf der einen Seite und das Wirtschftswachstum auf der anderen Seite. Wer nur die Arbeitsnachfrage als Bestimmungsgröße der Arbeitslosigkeit beachtet, wie es häufig geschieht, verkennt die tatsächlichen Zusammenhänge.


Ein Test soll dies illustrieren. Wir prüfen die konkurrierenden Einflüsse der Letzten Verwendung des BIP, als Ausdruck der Arbeitsnachfrage, und des Arbeitsangebots (Arbeitnehmer + Arbeitslose) auf die Arbeitslosenzahl:

9. Deutschland 1991-2014: Quartalsdaten, (F.DE.14.91-14)

Abhängig: Zahl der Arbeitslosen, Veränderungen gegenüber Vorjahr

  • a) Die Letzte Verwendung des BIP, Veränderungen in % Vj., hat einen signifikanten, schwachen negativen Einfluss auf die Zahl der Arbeitslosen,
  • b) die Zahl des Arbeitsangebotes, Veränderungen gegenüber Vorjahr, hat einen hoch signifikanten, mittleren positiven Einfluss auf die Zahl der Arbeitslosen.

Beide Einflüsse addieren sich zu einem gemeinsamen dominanten Einfluss.

Wir halten für Deutschland fest:

  • Während die Beschäftigungsentwicklung in hohem Maße vom Wirtschaftswachstum bestimmt wird,
  • hängt die Entwicklung der Arbeitslosigkeit zwar auch vom Wirtschaftswachstum ab, wird aber in noch stärkerem Maße von der Entwicklung des Arbeitsangebots bestimmt.


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