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5.9. Die dominante Rolle der Unternehmung im produktiven Geldkreislauf


Wer sind die bestimmenden Subjekte dieser Wachstumszusammenhänge? Wer bestimmt das Wachstum? – Es sind vor allem die Unternehmen, und daneben Staat, Wohnungsbauherren und „Ausland“, wobei im „Ausland“ wiederum Unternehmen, Staat und Wohnungsbauherren die bestimmenden Subjekte des Wachstums sind, von dem die Importe anhängen.


Die privaten Unternehmungen bestimmen ihre laufende Produktion einschließlich der eingesetzten Arbeitnehmer und Arbeitsstunden. Damit verbunden sind Zahlungen als Beiträge zum laufenden BIP:

  • Sie bezahlen die Vorprodukte und Vorleistungen für ihre Produktion. Dies sind Zahlungen von Unternehmen an Unternehmen.
  • Sie bezahlen die Arbeitnehmerentgelte – rund 53% des BIP.
  • Sie kaufen ihre Anlageinvestitionen – rund 10% des BIP.
  • Und sie schütten Gewinne aus – rund 10% des BIP.
  • Über ihre Arbeitnehmerentgelte und ihre eigenen Gewinnausschüttungen bestimmen sie zusammen mit dem Staat das Verfügbare Einkommen der Privaten Haushalte und darüber den privaten Konsum mit rund 55% des BIP.

Insgesamt bestimmen die Unternehmungen mit ihren Entscheidungen den größten Teil der Produktion des BIP. Mit der Erhöhung ihrer Ausgaben bestimmen sie den größten Teil des Wirtschaftswachstums.


Die Frage, wovon die Wirtschaftsentwicklung eines Landes abhängt, führt deshalb zuerst zu der Frage: Woran orientieren sich die Unternehmungen bei ihren Produktionsentscheidungen? Als ihre Ziele unterstellen wir: langfristige Stabilität der Unternehmung und Gewinnmaximierung. Um diese Ziele zu erreichen, orientieren sie sich an der Entwicklung von wirtschaftlichen Beobachtungen.


In ihren Produktionsentscheidungen sind die Unternehmungen weitgehend autonom. Dh. ihre Entscheidungen sind unabhängig. Aber es gibt erkennbare Einflüsse auf ihre Entscheidungen.

  • Ihre Investitionsentscheidungen sind, wie wir gezeigt haben, abhängig von der Gesamtheit der Produktionsentscheidungen aller Unternehmungen.
  • Möglich ist ein Einfluss der Zinsentwicklung auf ihre Produktions-entscheidungen. Das werden wir im folgenden prüfen.
  • Die Entwicklung der Tariflöhne pro Arbeitsstunde beeinflusst die Höhe der Arbeitskosten. Laut IAB-Betriebspanel waren 2017 bei 55% der Arbeitnehmer die Arbeitgeber direkt an Tarifverträge gebunden, und bei weiteren 23% der Arbeitnehmer orientierten sich die Arbeitgeber freiwillig an Branchentarifverträgen. Somit folgten die Löhne von fast 80% der Arbeitnehmer den Tarifentwicklungen.
  • In letzter Instanz aber entscheiden die Unternehmungen, unter Beachtung ihrer Gewinninteressen, über die Arbeitsmenge sowie über die Summe der tatsächlich bezahlten Löhne und damit über die Arbeitnehmerentgelte. Sind ihnen die Löhne zu hoch, dann verringern sie die Beschäftigung.


Wir fragen, woran sich die Unternehmungen bei diesen Entscheidungen orientieren. Wir prüfen den Einfluss von drei beobachtbaren Größen, deren Entwicklung die Entscheidungen der Unternehmen beeinflussen:

  • die Zinskosten für Kredite,
  • den Auftragseingang, den wir als Auftragseingang der Gesamtheit der Unternehmungen messen,
  • die Bruttoresidualeinkommen.


Den Einfluss der Zinsen messen wir an dem Einfluss der Entwicklung der Anleihezinsen auf das Wirtschaftswachstum. Dabei müssen wir berücksichtigen, dass diese Zinsen selbst vom Wirtschaftswachstum beeinflusst werden. Wir unterscheiden deshalb den Einfluss des Wachstums auf den Zinssatz und die nachlaufende Abhängigkeit des Wachstums vom Zinssatz.

1. Deutschland 2000-2014: Quartalsdaten (Z.DE.2.00-14)

Unabhängig und abhängig: BIP, preisbereinigt, Veränderungen in % des Vorjahres, Anleiherenditen in %, Differenz zum Vorjahr

  • a) Das Wachstum hat einen signifikanten, geringen positiven Einfluss auf die gleichzeitige Veränderung der Anleihezinsen.
  • b) Die Anleiherenditen, Differenz zum Vorjahr, haben einen nicht signifikanten, geringen, um 6 Quartale verzögerten negativen Einfluss auf das Wachstum.


In der EU war der Einfluss der Zinsen auf das Wachstum etwas größer.

2. EU28 2000-2014: Quartalsdaten (Z.EU.1.00-14)

Unabhängig und abhängig: BIP, preisbereinigt, Veränderungen in % des Vorjahres, Anleiherenditen in %, Differenz zum Vorjahr

  • a) Das Wachstum hat einen signifikanten, geringen positiven Einfluss auf die ein Quartal nachlaufenden Veränderung der Anleihezinsen.
  • b) Die Anleiherenditen, Differenz zum Vorjahr, haben einen signifikanten, geringen, um 5 Quartale verzögerten negativen Einfluss auf das Wachstum.


Seit 2003 veröffentlicht die Bundesbank monatlich differenzierte Angaben über Kreditzinsen in Deutschland:

3. Deutschland 2003 bis 2014: Quartalsdaten (Dia5.8.2)

Unabhängig und abhängig: BIP, preisbereinigt, Veränderungen in % des Vorjahres, Effektivzinssätze für Nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften in %, Differenz zum Vorjahr

  • a) Das Wachstum hat einen hoch signifikanten, dominanten positiven Einfluss auf die Veränderung des Effektivzinssatzes (W.DE.3.03-14).
  • b) Der Effektivzinssatz hat mit einem Vorlauf von 4 Quartalen einen signifikanten, geringen negativen Einfluss auf das Wachstum (W.DE.4.03-14). Die Regression ist schwach autokorreliert.


Wir stellen fest:

  • Das BIP-Wachstum hat einen signifikanten positiven Einfluss auf die Entwicklung der Kreditzinsen. Der negative Einfluss der etwa ein Jahr vorlaufenden Kreditzinsen auf das Wachstum ist dagegen gering.


Wir können davon ausgehen, dass die Unternehmungen bei ihren Produktionsentscheidungen die Zinsentwicklung im Auge behalten, zumal die EZB bei ernsthaften Inflationssorgen die Zinsen spürbar in die Höhe treiben könnte (Kap.7.9.2). Wichtiger sind jedoch ihre Einschätzungen der wirtschaftlichen Lage, die auf ihren aktuellen Informationen beruhen. Aufgrund dieser Informationen beantworten sie zwei zentrale Fragen:

  • Welche Produktionsmenge und zu welchem Preis könnte der Markt abnehmen?
  • Welche Gewinne lassen die mit dem Umsatz verbundenen Kosten erwarten?


Vor allem beobachtet die einzelne Unternehmung die Produktionsentwicklung der übrigen Unternehmungen. Ein signifikanter Indikator dafür sind die Auftragseingänge der Industrie, die das Wirtschaftswachstum mit einem Vorlauf von einem Monaten abbilden. Ihre Gewinne kennen die Unternehmungen dagegen nur ex post. Als Indikator dafür nehmen wir die Entwicklung der Bruttoresidualeinkommen. Wir testen den Einfluss dieser beiden Indikatoren auf das Wirtschaftswachstum, das wir als Resultat der Produktionsentscheidungen der Unternehmungen betrachten.


Wir testen den Einfluss des vorlaufenden Auftragseinganges in Konkurrenz mit dem Einfluss des Bruttoresidualeinkommens auf das Wirtschaftswachstum:

4. Deutschland 2000-2014: Quartalsdaten, Veränderungen in % des Vorjahres (H.DE.5.00-14)

Abhängig: BIP, nominal

  • a) Der hoch signifikante positive Einfluss des ein Quartal vorlaufenden Auftragseingangs ist dominant.
  • b) Der hoch signifikante positive Einfluss der Bruttoresidualeinkommen ist dagegen gering.
  • c) Die Summe der absoluten Beta-Beträge ist 1,01.


Sowohl die allgemeine Nachfrageentwicklung als auch die Entwicklung der Bruttoresidualeinkommen beeinflussen also in signifikanter Weise die Produktionsentscheidungen der Unternehmungen. Der Einfluss der Auftragseingänge ist aber deutlich stärker als der Einfluss der Bruttoresidualeinkommen.


Einschränkend müssen wir hinzufügen: Zum Zeitpunkt der Produktionsentscheidung kennen die Unternehmen ihre aktuelle Gewinnentwicklung nicht. Sie müssen sie schätzen.


Insgesamt stellen wir fest:

  • Die Unternehmungen haben durch ihre Produktionsentscheidungen bestimmenden Einfluss auf die Entwicklungen des BIP und der Beschäftigung.
  • Dabei orientieren sie sich einerseits an der beobachten Konjunkturentwicklung, gemessen an den Auftragseingängen, andererseits an der erwarteten Entwicklung ihrer Gewinne.
  • Die Zinsentwicklung hat ebenfalls einen zu beachtenden, aber nachrangigen Einfluss.


Die Logik dieser Befunde ist: Die aus der Gesamtheit der Unternehmensentscheidungen resultierende Konjunktur beeinflusst wesentlich die Produktionsentscheidungen der einzelnen Unternehmen. Dieser logische Zirkel charakterisiert die prinzipielle Unbestimmtheit der Marktwirtschaft. Unsere Beobachtungen weisen darauf hin, dass die Konjunkturschwankungen ein Ausdruck schwankender Beteiligung der Arbeitnehmerentgelte am Produktionsertrag sind (Kap.5.7). Es handelt sich bei den Konjunkturschwankungen um schwankende Ungleichgewichte, denen gegenüber die Politik ein Gleichgewichtsziel formuliert hat: stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum.


Diese Überlegung führt zu folgender pragmatischer Schlussfolgerung:

  • Je stabiler sich der Anteil der Arbeitnehmerentgelte an den Einkommen entwickelt, desto stetiger ist die Wirtschaftsentwicklung.
  • Je stetiger die Wirtschaftsentwicklung ist, desto größer ist die Sicherheit der Unternehmensentscheidungen.
  • Je größer die Sicherheit der Unternehmensentscheidungen, desto größer ihre Bereitschaft zur Erhöhung von Produktion und Beschäftigung.


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