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6.6. Grenzen der öffentlichen Verschuldung


6.6.1. Die Stabilitätskriterien der EU (näheres EXKURS6.3)

Die Maastricht-Kriterien sollen die Verschuldung der EU-Mitgliedstaaten begrenzen. Plausibel waren diese Stabilitätskriterien der EU als Aufnahmekriterien in die Europäische Währungsunion. Während der Vorbereitungsphase von 1994 bis 1998 sollten die Länder, die der EWU beitreten wollten, gemäß Maastricht-Vertrag diese Stabilitätskriterien einhalten:

  • keine Schuldenquote über 60% des BIP,
  • keine Defizitquote über 3%.

Dadurch sollten die Beitrittskandidaten beweisen, dass sie in der Lage waren, ihren Beitrag zur Stabilität der künftigen Währung zu leisten. Aber daraus folgt nicht, dass die strikte Einhaltung dieser Kriterien in jeder wirtschaftlichen Situation angemessen ist.


Die Logik der Maastricht-Kriterien besagt, dass die Schuldenquoten der Mitgliedstaaten nicht wachsen sollen. Diese Regeln setzen offensichtlich das krisenfreie Funktionieren des Kapitalmarktes voraus. In der Finanzkrise aber waren die Dämme der Maastricht-Kriterien nicht zu halten. Die Schuldenquoten der Mitgliedstaaten explodierten. (näheres EXKURS7.3)


Die Reformen des Bankwesens der EU in den letzten Jahren sollen Wiederholungen solcher Finanzkrisen ausschließen und das Regime der Maastricht-Kriterien wiederherstellen (Kap.7.7). 2011 sind die Regeln für die des Stabilitäts- und Wachstumspaktes reformiert und verschärft worden. Durch sie wurde der Einhaltung der Schuldenquote von 60% des BIP ein größeres Gewicht gegeben. Mitgliedstaaten mit einer höheren Verschuldung wurden zum Abbau ihrer Schuldenquote verpflichtet (näheres EXKURS6.4).



6.6.2. Die Bonität auf dem Kapitalmarkt

Das Beispiel Griechenland (näheres EXKURS7.3) zeigt: Wenn ein Staat darauf angewiesen ist, seine Anleihen auf dem internationalen Kapitalmarkt unterzubringen, dann gelingt ihm das auf Dauer nur, wenn und solange er, insbesondere aufgrund seiner Haushaltsentwicklung, von den internationalen Investoren als stabil angesehen wird. Sobald hier Zweifel aufkommen, wachsen seine vom Kapitalmarkt geforderten Kreditzinsen übermäßig an. Zwischen Anfang 2010 und Ende 2011 sind die Zinssätze für griechische Staatsanleihen von 5% auf 29% gestiegen. Bei solchen Zinsen kann es sich kein Staat leisten, neue Kredite aufzunehmen.


Aber die Staaten haben ihre Schulden in befristeten Anleihen angelegt. Nach Ablauf der Frist müssen diese getilgt werden. Die fälligen Tilgungen kosten bei einer Schuldenquote von 100% in der Regel wenigstens 10% eines Jahres-BIP. Um die fälligen Tilgungen aus den Altschulden zu bezahlen und das neue Defizit zu finanzieren, musste Griechenland 2010 47% seines BIP aufbringen. Dafür brauchte es entsprechende neue Kredite, die auf dem Kapitalmarkt nur zu unerträglichen Bedingung zu bekommen waren. Nur ein europäischer Rettungsschirm konnte Griechenland vor dem Staatsbankrott bewahren.


Mit dieser Kombination von hoher Schuldenlast und hoher Defizitabhängigkeit hatte Griechenland die Grenze des Tragbaren überschritten.


Dagegen hat Japan offenbar keine Probleme, seine Staatsschulden im Inland und unabhängig vom internationalen Kapitalmarkt unterzubringen, trotz ständig wachsender Schulden, deren Stand 2016 250% seines BIP betrug. (siehe unten, Kap.6.7.3)


Diese Grenze der Finanzierbarkeit von Staatsschulden besteht also nur dort, wo eine Regierung auf den internationalen Kapitalmarkt angewiesen ist. Ihre Abhängigkeit zwingt diese Staaten zu einer Finanzpolitik, die das Vertrauen des Kapitalmarktes erhält.



6.6.3. Die Zinslast

Eine wichtige Grenze der Verschuldung eines Staates ist die Tragbarkeit der Zinslast. Bei den derzeitigen Zinsen gerät dieses Kriterium in den Hintergrund. Aber bei Staaten, die jedes Jahr 3% oder höhere Zinsen für ihre Schulden zahlen müssen, ist die Zinslast als Maßstab der langfristigen Belastung des Staatshaushalts wichtig.


In der üblichen Rechnung in Prozent des BIP ist die Quote der Zinslast = durchschnittlicher Zinssatz x Schuldenquote. Sie ist in der Regel relativ klein und stabil. Im Staatshaushalt bedeutet die Zinslast jedoch eine Vorabminderung der für normale Staatsausgaben verfügbaren Einnahmen. Wir definieren:

  • Primäreinnahmen = Einnahmen ohne Zinsausgaben – dies sind die für Normalausgaben verfügbaren Einnahmen.
  • Primärsaldo = Haushaltssaldo ohne Zinsausgaben.

Der Vergleich des Primärsaldos mit dem Gesamtsaldo macht deutlich, welcher Teil eines Defizits aus den Zinslasten der Staatsschulden, also den Lasten der vergangenen Defizite resultiert. Ist der Primärsaldo positiv oder ausgeglichen, dann bedeutet das, dass das tatsächliche Defizit ausschließlich zur Finanzierung früherer Defiziten verwendet wird.


Bestimmen wir die Zinslastquote als Anteil der Zinsausgaben an den gesamten Staatseinnahmen, dann drückt sie aus, in welchem Maß die Last der Schulden den Ausgabenspielraum des Haushalts mindert. Eine steigende Schuldenquote verringert die für Normalausgaben verfügbaren Einnahmen des Haushalts. Werden diese Normalausgaben nicht entsprechend gekürzt, dann zieht eine wachsende Schuldenquote weitere Defizite nach sich. Ohne laufende Kürzung der Normalausgaben beschleunigt sich das Wachstum der Schuldenquote.


Diese Zusammenhänge sprechen entschieden für eine Vermeidung wachsender Schuldenquoten.


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