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6.8. Alternativen zum Defizit-Spending


6.8.1. Öffentliche Induzierung privater Investitionen

Wenn es an Bereitschaft der Unternehmen mangelt, Kredite zur Finanzierung von Investitionen aufzunehmen, dann könnte es eine Aufgabe der Konjunkturpolitik sein, private Investoren zur Aufnahme von zusätzlichen privaten Krediten zu veranlassen. Dank des Einnahmen-Multiplikators hätte der Staat die Möglichkeit, solche privaten Kreditaufnahmen finanziell zu fördern, ohne seine Schulden auszuweiten. Es gibt solche Alternativen.


Zusätzliche private Investitionen erhöhen das BIP. Diese Erhöhung multipliziert sich mit einem Multiplikator. Die Gesamterhöhung des BIP zieht erhöhte Staatseinnahmen nach sich. Diese zu erwartenden Zusatzeinnahmen bilden eine Dispositionsmasse, die der Staat zur Förderung privater Investitionen aufwenden kann, ohne seine Schulden dauerhaft zu erhöhen.


Aus der Sicht des Staates hat eine private Investition, die er durch Fördermaßnahmen induziert, eine Hebelwirkung: Angesichts einer durchschnittlichen Steuerquote von gut 20% des BIP und einem effektiven Multiplikator von beispielsweise 1,5 könnten in Deutschland die Staatseinnahmen um 30% eines zusätzlichen privaten Ausgabenvolumens wachsen. Dieses Geld könnte der Staat zur Förderung privater Investitionen einsetzten, ohne draufzuzahlen, also ohne Defizit und zusätzliche Schulden. Das gleiche gilt für die Förderung zusätzlicher Beschäftigung. Damit diese Ausgaben die zusätzlichen Steuereinnahmen zuverlässig einbringen, müssen allerdings zwei Prinzipien gewährleistet sein:

  • Es muss sich um zusätzliche private Ausgaben handeln, nicht um vorgezogene Investitionen, die später entfallen.
  • Der Staat muss sicher sein, dass diese Aufwendungen versteuert werden – es sei denn, die staatliche Förderung bestünde unmittelbar im Erlass von Steuern.


Im deutschen Konjunkturpaket von 2008/09 waren zwei Programme enthalten, die kurzfristig gegriffen haben und eine solche Hebelwirkung hatten (vgl. EXKURS6.1):

  • Mit der Abwrackprämie, deren Sinn aus ökologischer Sicht umstritten war, sind mit einem Förderungsvolumen von 5 Mrd. Euro zusätzliche Autokäufe für 14 Mrd. Euro induziert worden. Das entspricht einem Hebel von etwa 3. Verbunden mit den normalen Multiplikatoreffekten hat sich das eingesetzte Fördervolumen über zusätzliche Steuereinnahmen wenigstens vollständig refinanziert.
  • Die Förderung von Kurzarbeit hat unmittelbar 800.000 Arbeitslose vermieden und damit einen depressiven Konjunkturschock mit noch weitergehender Arbeitslosigkeit. Dem bezahlten Kurzarbeitergeld stehen die vermiedenen Kosten aus erhöhter Arbeitslosigkeit sowie die Sekundärwirkungen von Nachfrageausfällen gegenüber.


Die deutschen Klimaziele sind ohne umfangreiche und rechtzeitige private Investitionen nicht zu erreichen. Aber die erforderlichen Investitionen der privaten Haushalte im Bereich des Wärmeverbrauchs der Wohnungen, deren Kalkül nur langfristige Vorteile verspricht, werden ohne massive staatliche Förderungen voraussichtlich nicht stattfinden. Hier könnten gesetzliche Auflagen zur Reduzierung des Energieverbrauchs nur durchsetzbar sein, wenn der Staat zugleich attraktive Vergünstigungen bietet. Zusätzliche Staatseinnahmen von bis zu 40% des privaten Investitionsvolumens geben dem Staat hohe Subventionsspielräume, ohne seine Schulden zu erhöhen.


6.8.2. Der Junker-Plan der EU

Ein besonderes Beispiel ist der Junker-Plan der EU (Note6.8.1). Der Junker-Plan – Investment Plan for Europe (EFSI) – ist 2015 von der EU beschlossen worden, um private Investitionen zu mobilisieren. Er sollte zwar mit Krediten finanziert werden. Aber er sollte ein Vielfaches des öffentlichen Einsatzes an private Investitionen auslösen. Durch diese Investitionen sollten Arbeitsplätze geschaffen, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit gestärkt, langfristigen ökonomischen Erfordernissen entsprochen und die Produktivität und Infrastruktur der EU verbessert werden.


Die EU stellte, über die Europäische Investitionsbank und den Europäischen Investment Fond, 21 Mrd. Euro in Form von Bürgschaften zur Verfügung. Damit sollten Anleihen im dreifachen Volumen aufgenommen werden. Mit diesen sollten private Investitionen in Höhe von 315 Mrd. Euro kofinanziert werden. Der erwartete Hebel als Relation von eingesetztem zu ausgelöstem Volumen würde 15 betragen. Das bedeutete, dass allein die von den Investitionsaufwendungen ausgelösten Steuereinnahmen das eingesetzte Bürgschaftsvolumen weit übertreffen würden. Das Programm kommt also ohne öffentliche Schuldenausweitung aus.


Bei den geförderten Investitionen war das Kriterium der Zusätzlichkeit zu beachten. Die Investitionsvolumen werden auf alle Mitgliedstaaten verteilt und auf bestimmte Sektoren konzentriert:

    30% kleine und mittlere Unternehmen (KMU),

    21% Energie,

    21% Forschung, Entwicklung und Innovation,

    11% Digitalisierung,

    9% Verkehr,

    4% Umwelt und Ressourceneffektivität,

    4% soziale Infrastruktur.


Der Plan wurde 2015 beschlossen, startete 2016 und zielte auf eine Durchführungsperiode von 5 Jahren. Über das Internet kann seine Umsetzung laufend verfolgt werden (Note6.8.2). Im Februar 2019 wurde folgende Umsetzung berichtet:

  • Ein Investitionsvolumen von 379,8 Mrd. Euro ist gefördert worden = 76% des geplanten Volumens.
  • Bis Juli 2018 sind 750.000 Arbeitsplätze gefördert worden. Bis 2020 sollen es 1,4 Mio. sein. In der EU28 gibt es allerdings 16 Mio. Arbeitslose.


Diese induzierten Investitionen machten in den Jahren 2016 und 2017 pro Jahr knapp 1% des BIP der EU28 aus. Wenn diese Investitionen tatsächlich zusätzlich zu den privaten Investitionen stattgefunden haben, wäre das ein beachtlicher Beitrag.


Zwar eignet sich ein solches Investitionsprogramm nicht als kurzfristiges Konjunkturprogramm. Dafür eignen sich andere Modelle mit ausreichender Hebelwirkung. Aber in einer Zeit, in der die privaten Investitionen stagnieren und in der insbesondere im Energiesektor Infrastrukturinvestitionen dringend benötigt werden, bietet der Junker-Plan dem Staat eine realistische Perspektive, Wachstum, Beschäftigung und moderne Infrastruktur wirksam zu fördern, ohne sich zu verschulden.


6.8.3. PPP und ÖÖP-Projekte

Besonders in Deutschland wird zunehmend ein Mangel an öffentlichen Investitionen beklagt. Angesichts der Schuldenbremse werden alternative Finanzierungsmodelle gesucht und entwickelt, vor allem Public-Private-Partnership-Projekte. In deutschen Kommunen spielen sie seit einigen Jahren eine zunehmende Rolle. Dabei werden öffentliche Investitionsprojekte von einem privaten Partner realisiert und finanziert. Es gibt sehr unterschiedliche Modelle. In der Regel werden öffentlich genutzte Infrastrukturbauten gegen laufende öffentliche Zahlungen privat errichtet und unterhalten.


An der Praxis der bisherigen Public-Private-Partnership-Projekte wird allerdings zunehmende Kritik laut. Insbesondere werden ungenügende Effizienz und überhöhte Kosten bemängelt. Es entsteht der Eindruck, dass die öffentlichen Partner die Interessen der privaten Partner nicht zu zügeln vermögen.


Um diesen Problemen zu begegnen sind in jüngster Zeit ÖÖP-Projekte entwickelt worden, in denen an die Stelle privater Investoren öffentliche Gesellschaften treten. Es handelt sich insbesondere um öffentliche Infrastrukturprojekte, die von öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften errichtet, finanziert und betrieben werden.


So plant der Berliner Senat die Sanierung und den Neubau von Schulen im Rahmen einer Schulbauoffensive, für die von 2017 bis 2026 5,5 Mrd. Euro vorgesehen sind. Dazu wurde 2018 mit der HOWOGE-Wohnungsbaugesellschaft ein Rahmenvertrag geschlossen. Davon verspricht man sich folgende Vorteile:

  • die Wohnungsbaugesellschaft ist nicht an die Schuldenbremse gebunden und kann Kredite aufnehmen,
  • es gehen keine Gewinne an private Partner,
  • es wird mit deutlichen Effizienzgewinnen gerechnet.

Als wichtiges Problem, das damit verbunden sind, wird das Vergaberecht genannt.


Gemeinsam ist diesen Projekten das Prinzip der Finanzierung: Der Kredit ist privat. Die öffentliche Nutzung wird aus laufenden öffentlichen Ausgaben finanziert. Es entstehen keine öffentlichen Schulden. Angesichts der im Grundgesetz und in Landesverfassungen verankerten Schuldenbremse ist in Deutschland eine private Kreditfinanzierung eine unabdingbare Voraussetzung für öffentliche Infrastrukturinvestitionen.



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