back


7.6. Die große Finanzkrise und die europäischen Folgekrisen


In dem EXKURS7.1: Die Entstehung der Finanzkrise sind die finanziellen Entwicklungen in den Jahren 2000-2007 beschrieben worden, die zur Finanzkrise geführt haben. Hier eine Zusammenfassung:

  • Am Anfang der Finanzkrise standen wachsende internationale Handelsungleichgewichte zwischen Überschussländern und Defizitländern (DiaEx7.1.1).
  • Außenhandelsüberschüsse schlugen sich nieder in wachsenden Krediten der Überschussländer an die Defizitländer.
  • Diese Entwicklung führte zu wachsenden Auslandsvermögen und Auslandschulden einzelner Länder. Bei den Schuldnerländern standen die USA ganz im Vordergrund der Beobachtungen, danach folgten das Vereinigte Königreich und Spanien. Bei den Gläubigerländern dominierten Japan, China, Deutschland und Russland.
  • In zunehmendem Maße wurden Geldanleger mit Anlagenangeboten aus den Defizitländern konfrontiert, die günstigere Renditen anboten als die einheimischen.


Ein Anleger wägt Renditen und Risiken ab. Je fremder der Markt der Angebote, desto unsicherer das Urteil. Das schuf Raum für profitable Täuschungen. In dem EXKURS7.2: Die Subprimekrise in den USA ist der Krisenverlauf näher beschrieben worden.

  • Die deutschen Anleger bevorzugten in diesen Jahren us-amerikanische Anlagen. Besondere Sicherheiten erwarteten sie, neben Staatsanleihen, von durch Immobilien gesicherten Hypotheken.
  • Nicht wenige Anleger wurden Opfer von täuschend verpackten amerikanischen Subprimekrediten: ungenügend gedeckte Hypotheken von vermögenslosen Hausbesitzern.


Als diese Kredite in der Subprimekrise platzten und wichtige amerikanische Hypothekenbanken in die Pleite gerieten, und als realisiert wurde, dass große Mengen „vergifteter“ Papiere im Umlauf waren, entfaltete sich die weltweite Finanzkrise als Kettenreaktion. Das öffentliche Startsignal war die Pleite der Lehman Brothers am 15. September 2008, die die US-Regierung sehenden Auges geschehen ließ. Die Angst vor vergifteten Krediten brachte weltweit den Kreditverkehr zwischen den Banken zum Erliegen. Es drohte der Zusammenbruch der Kreditversorgung der Wirtschaft. In vielen Staaten griffen die Regierungen ein, um mit geliehenem Geld „systemrelevante“ Banken zu retten.


Die Folgen der Finanzkrise waren in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft verheerend. In Deutschland sank das BIP 2009 im Vorjahresvergleich um -6,8%, im EU-Durchschnitt um -5,1%, in den USA um -4,1%. In der EU stieg die Arbeitslosigkeit von 7% auf 10%. Neben den Kosten von Bankenrettungen ließen insbesondere die Sozialkosten der Arbeitslosigkeit die Staatsdefizite weit über das Maastricht-Maximum von 3% hinaus ansteigen. Infolge dessen stiegen die Schuldenquoten im Durchschnitt der EU28 von 57,6% in 2007 auf 86,7% in 2014. Diese Entwicklung ist in dem EXKURS7.3: Die Folgekrisen in den EU-Mitgliedstaaten beschrieben worden. Diese Krisen, die in politischer Absicht als „EURO-Krise“ interpretiert wurden, resultierten direkt aus den realwirtschaftlichen Folgen der Bankenkrise, einer tiefen Rezession. In Europa dauerte die Finanzkrise von 2007 bis 2013. Nicht wenige meinen, sie sei immer noch nicht zu Ende.


Den Kern der Finanzkrise bildete der weltweite Zusammenbruch der Kreditbeziehungen zwischen den Banken. Aus Angst vor mangelhaft gesicherten Krediten verliehen sich die Banken gegenseitig kein Geld mehr. Exportgeschäfte setzen in der Regel Kredite an ausländische Banken voraus. Folge dieser internationalen Kreditklemme war der Einbruch des internationalen Handels, der sich zwischen Juli 2008 und Januar 2009 nahezu linear um insgesamt 30-40% vollzog. Bei Russland betrug der Exporteinbruch über 50%. Danach stagnierte die internationale Exportentwicklung bis April 2009, während die Importe Chinas im Mai 2009 die Hälfte ihres Rückgangs wieder ausgeglichen hatten.


Die unmittelbaren Krisenfolgen im internationalen Handel waren rasch vorüber. Die Salden der Warenbilanz der beobachteten Staaten sind in der Finanzkrise deutlich zurückgegangen: die Defizite Spaniens um 60%, der USA um 40% und des Vereinigten Königreichs um 30%, die Überschüsse Japans sind völlig verschwunden, die Russlands um 70% gesunken, die Deutschlands um 50% und Chinas um 30%. Die USA, deren bisheriges hohes Zahlungsbilanzdefizit die Finanzentwicklungen vor der Krise geprägt hatte, haben ihr Handelsdefizit in den Jahren nach 2009 stabil zwischen 2% und 3% gehalten.


Die Auslandssalden der Kreditbestände deutscher Banken sind zwischen 2008 und 2010 um ein Drittel geschrumpft. Wie viel davon Tilgungen waren und wie viel Verlustabschreibungen, ist aus diesen Statistiken nicht zu erkennen.


Die meisten Mitgliedstaaten der EU erlebten als Folge der Finanzkrise eine tiefe und lang andauernde Depression mit hoher Arbeitslosigkeit, gefolgt von lang andauernden Defiziten und explodierenden Staatsschulden. Vier Staaten der EWU hatten in dieser Zeit eine Schuldenkrise, die sie zwang, sich unter einen finanziellen Rettungsschirm der EWU-Mitgliedstaaten zu begeben: Irland, Spanien, Portugal und Griechenland. Der Vergleich mit Italien, das seine Krisenfolgen selbst bewältigen konnte, lässt erkennen, warum diese vier Staaten gezwungen waren, sich den finanzpolitischen Bedingungen ihrer europäischen Partner zu unterwerfen (EXKURS7.3):

  • Irland und Spanien wurden überwältigt von den Kosten und Folgen des Zusammenbruchs ihrer Immobilienwirtschaft, die begehrtes Ziel anlagesuchenden internationalen Kapital gewesen war.
  • Portugal hatte bereits im Aufschwung vor der Krise übermäßige Defizit- und Schuldenquoten. Als Portugal im Gefolge der Finanzkrise in eine Rezession mit wachsenden Sozialausgaben geriet, explodierten sein Defizit und seine Schulden.
  • In Griechenland hatten bereits in den 6 guten Jahren vor der Finanzkrise übermäßige Staatsdefizite das Wachstum angetrieben. Als der Staat unter dem Druck der europäischen Kreditgeber diese Defizite abbaute, geriet die Wirtschaft in eine tiefe Depression.
  • In allen 4 Staaten wuchs ihr Kreditbedarf aus fälligen Tilgungen und neuen Defizitenin der Finanzkrise so sehr an, dass der internationale Kapitalmarkt mit übermäßigen Zinssteigerungen reagierte. Das zwang diese Staaten, unter einem europäischen Rettungsschirm Schutz zu suchen: Die Rettungsschirme nahmen zu Lasten der am Rettungsschirm beteiligten Mitgliedstaaten Kredite auf, damit die notleidenden Staaten ihre fälligen Schulden bezahlen konnten.
  • Auch Italien, das ähnlich stark von den Folgen der Finanzkrise betroffen war, geriet in eine Rezession. Aber 2007, vor der Krise, hatte es über einen Haushalt mit einem vorzeigbaren Defizit von nur 1,5% verfügt, das auch in der Krise unter Kontrolle gehalten werden konnte. Zwar stieg auch Italiens Schuldenquote deutlich an. Aber mehr als ein kurzes Zucken der italienischen Anleihezinsen zeigte der internationale Kapitalmarkt nicht. Italien benötigte keinen Schutz des Rettungsschirmes.


Betrachtet man das Bild der Entwicklung der Anleiherenditen auf dem Kapitalmarkt während der Krise, so liegt der Vergleich mit verlorenen Schafen nahe, die leichte Beute der Wölfe geworden sind – siehe Dia7.6.1. Die spitzen Kursausschläge einzelner Staaten signalisierten: To weak to resist! Der Rettungsschirm bedeutete dagegen: Die Gesamtheit der Mitgliedstaaten ist stärker als die Summe ihrer Mitglieder: Strong enough to resist. Die Idee einer EWU als Kreditgemeinschaft liegt nahe. Die Rettungsschirme konnten ohne Schwierigkeiten Kredite aufnehmen, zu sehr günstigsten Zinsen und ohne Zucken des Marktes.


Die Beobachtungen der Rettungsschirme in der Praxis waren allerdings alles andere als überzeugend. Das Verfahren einer Beauftragung der Troika durch Mitgliedstaaten unter Ausschluss einer demokratischen Kontrolle der EU war mangelhaft. In EXKURS7.3 ist dies insbesondere am Beispiel Griechenlands ausführlich beschrieben worden. Vier Mitgliedstaaten der EWU brauchten zur Refinanzierung ihrer Schulden neue Kredite, für die sie auf dem internationalen Kapitalmarkt exorbitante Zinsen bis zu 29% bezahlen sollten, während die Partnerstaaten Anleihen mit weniger als 5% unterbrachten. Mühsam und gequält nahmen die helfenden Staaten Kredite auf zur Refinanzierung der Schulden notleidender Staaten. Die naheliegende Idee einer gemeinschaftlichen Anleihefinanzierung der nationalen Schulden wurde von den Geberländern strikt verworfen, weil sie im Falle der Zahlungsunfähigkeit eines Mitgliedstaates nicht für dessen Schulden haften wollten..


Während in den übrigen Mitgliedstaaten der EU die Folgekrisen der Finanzkrise bis 2015 andauerten, begleitet von hoher Arbeitslosigkeit, hat Deutschland die Folgen der Finanzkrise rasch überstanden:

  • Das reale BIP sank bis 2009 um fast 9%. Danach erholte es sich wieder.
  • Die Arbeitslosenquote stieg nur 2009 geringfügig an. Danach sank sie.
  • Dem entsprechend waren keine gestiegenen Sozialausgaben zu finanzieren.
  • Das Defizit stieg bis 2010 auf 4,2%. Seit 2012 hat Deutschland kein Defizit mehr.


Der Kern dieser raschen Überwindung der Finanzkrise in Deutschland war die Vermeidung einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit. Zwar hatte die Finanzkrise in Deutschland die Exporte besonders stark getroffen, mit der Folge einer überdurchschnittlichen Rezession bis 2009. Aber mit Hilfe umfangreicher Kurzarbeit (EXKURS6.1), die von der Regierung stark gefördert wurde, wurden Massenentlassungen vermieden. So ist der mit erhöhter Arbeitslosigkeit verbundene Zweitrundeneffekt der Rezession in Deutschland ausgeblieben, der in den übrigen EU-Staaten die Krise vertieft hat.


back                                                                                                            next