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Kap. 8. Politische Schlussfolgerungen


In zahlreichen Abschnitten der vorangegangenen Kapitel sind Probleme beschrieben und Feststellungen gemacht worden, die politische Schlussfolgerungen nahelegen. Die wichtigsten Schlussfolgerungen des Verfassers seien hier genannt. Entsprechend dem Inhalt dieses Buches beschränken sie sich auf Konsequenzen aus ökonomischen Beobachtungen.



8.1. Wachstum und Einkommen im Gleichgewicht


In Kap.5.6 ist erklärt worden, warum das Wirtschaftswachstum für die Entwicklung der Beschäftigung von zentraler Bedeutung ist. Und dieses Wirtschaftswachstum muss nicht im Widerspruch zu den Erfordernissen der Umwelt stehen. Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich sind diesbezüglich in der Regel weniger problematisch, und der klimagerechte Umbau unserer Energieversorgung und unseres Energieverbrauches erfordert umfangreiche produktive Investitionen (Kap.4.7).


Das gesetzliche Konjunkturziel heißt: stetiges Wirtschaftswachstum. Je weniger die Wirtschaftsentwicklung schwankt, desto stabiler sind die Erwartungen der Produzenten, desto eher werden sie ihre Produktion ausdehnen. Je weniger die Wirtschaftsentwicklung schwankt, desto stabiler ist auch die Beschäftigungsentwicklung.


Die Konjunktur, also auch die Konjunkturschwankungen, wird bestimmt von den Produktionsentscheidungen der Unternehmungen. Diese orientieren sich sowohl an der Nachfrage der anderen Unternehmungen, der privaten Haushalte, des Staates und des „Auslandes“, als auch an ihren Gewinnerwartungen. In empirischen Tests haben wir die folgenden Wirkungszusammenhänge festgestellt (Kap.5):

  • 1. Die Nachfrage der privaten Haushalte mit 55% des BIP wird weitgehend bestimmt von deren Kaufkraft, dh. von deren verfügbarem Einkommen. Und dieses Einkommen wird zum großen Teil durch die Arbeitnehmerentgelte bestimmt, die die Unternehmungen bezahlen. Eine beachtliche Rolle spielen aber auch die von den Unternehmungen ausgeschütteten Gewinne.
  • 2. Die Ausgaben des Staates mit 21% des BIP werden im Rahmen seines Haushaltsplanes bestimmt. Sofern er zu einer stetigen Wirtschaftsentwicklung beitragen will, wird er seinen Haushalt antizyklisch führen.
  • 3. Der private Wohnungsbau mit 6% entwickelt sich relativ frei von Konjunkturschwankungen.
  • 4. Diese 84 % des BIP aus den ersten drei Abschnitten bilden die primäre Binnennachfrage.
  • 5. Die Exporte aus inländischer Produktion mit 28% des BP werden bestimmt von der Nachfrageentwicklung in den Empfängerländern. 60% der deutschen Exporte gehen in die EU. Sie werden dort weitgehend von der Entwicklung der Binnennachfrage bestimmt – in ähnlichen Proportionen aus Konsumausgaben der privaten Haushalte, Ausgaben des Staates und privatem Wohnungsbau.
  • 6. Der Anteil der privaten Konsumausgaben an der primären Binnennachfrage beträgt somit zwei Drittel, ebenso der Anteil der privaten Konsumausgaben unserer EU-Partnern an unseren Exporten.
  • 7. Die privaten Investitionen ohne Wohnungsbau hängen, wie wir – im Widerspruch zu den gängigen Vorstellungen – festgestellt haben, von der Entwicklung der übrigen Binnennachfrage und der Exporte ab, die sie lediglich verstärken.
  • 8. Und die Entwicklung der Importe schließlich wird mit hoch dominantem Einfluss von der Summe aus Binnennachfrage und Exportnachfrage bestimmt.


Orientiert an dieser Nachfrageentwicklung bestimmen die Unternehmungen durch ihre Entscheidungen die Entwicklungen von Wachstum, Beschäftigung und Verfügbarem Einkommen der Privaten Haushalte. Aber weil sich die Unternehmungen bei ihren Produktionsentscheidungen auch daran orientieren, welchen Gewinn sie nach Abzug ihrer Kosten erwarten können, tritt hier ein fundamentaler Widerspruch der Privatwirtschaft auf:

  • Einerseits hängt der Absatz der Unternehmungen von der Kaufkraft ab, nicht zuletzt von der Kaufkraft der Arbeitnehmer: je größer desto besser.
  • Andererseits mindern die von ihnen bezahlten Arbeitnehmerentgelte ihre Gewinne: je kleiner desto besser.


Dieser Widerspruch hat die Geschichte der Neuzeit in vielfältiger Weise geprägt. Er lässt sich nicht auflösen. Aber er lässt sich ausgleichen. In der Zeit nach dem 2. Weltkrieg ist er – mal mehr, mal weniger – dadurch gemäßigt worden, dass der private Konsum die Produktionsorientierungen der Unternehmen dominiert hat. Dass die Kaufkraft der Arbeitnehmer für den Umsatz der Unternehmungen wichtig ist, weiß der Unternehmer. Das ändert aber nichts an dem Vorrang seines einzelwirtschaftlichen Ziels: die Lohnkosten zu minimieren.


In Kap. 5.7 ist gezeigt worden, dass die störenden Konjunkturschwankungen mit proportionalen Schwankungen der Anteile von Residualeinkommen (Gewinne plus Abschreibungen) und Arbeitnehmerentgelten verbunden sind. Wir haben beobachtet, dass die Unternehmungen ihr Wachstum dann zu drosseln beginnen, wenn ihre Gewinne am stärksten zunehmen. Ungenügende Gewinne sind also nicht die Ursache von Konjunkturabschwüngen. In diesem Hochpunkt der Konjunktur bleibt jedoch das Wachstum der Arbeitnehmerentgelte besonders weit hinter dem Wachstum der Wertschöpfung zurück. Und seit 2012 ist in Deutschland zu beobachten – siehe dazu Dia8.1.1, dass eine Dämpfung der Entwicklungsschwankungen von Löhnen und Gewinnen mit einer Verstetigung des Wirtschaftswachstums einhergeht. Das führt zu der politischen Schlussfolgerung: Löhne und Gewinne sollten sich möglichst im Gleichgewicht entwickeln: verteilungsneutral. Das berührt die Verteilungsgerechtigkeit nicht. Die Spreizung der Löhne zwischen den Branchen und innerhalb eines Tarifvertrages bleibt eine Frage der tariflichen Lohnfindung. Die Lohnquote dagegen, die hier quasi konstant gesetzt wird, kann nur in kleinen Schritten verändert werden, ohne dass gesamtwirtschaftliche Störungen die Folge sind.


Die Einhaltung dieses Gleichgewichts, die Sache der Tarifparteien ist, könnte und sollte die Öffentlichkeit beobachten: den Vergleich zwischen den laufenden Wachstumsraten der Bruttowertschöpfung, der Arbeitnehmerentgelte und der Residualeinkommen. Die Daten dazu liefert das Statistische Bundesamt mit einer Verzögerung von 3 Monaten. Dabei ist allerdings zu beachten:

  • Das künftige Wirtschaftswachstum kann gegenüber den Ist-Zahlen höchstens 6 Monate im Voraus glaubhaft geschätzt werden.
  • Die Änderungsraten der Residualeinkommen schwanken deutlich stärker als die der Bruttowertschöpfung oder der Arbeitnehmerentgelte.
  • Es geht nicht um die Entwicklungen der Stundenlöhne oder der Monatsgehälter pro Person, sondern um die Gesamtsumme der Arbeitnehmerentgelte.


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