back


8.5. Reichtum und Armut


Seit zwei Jahrzehnten prägt eine globale Geldschwemme die weltwirtschaftliche Entwicklung. Nach Angaben der Weltbank sind die Bankeinlagen weltweit von 34% des BIP in 2001 auf 50% des BIP in 2017 gestiegen – siehe Dia7.9.9. Entsprechende Entwicklungen zeigen die Statistiken für Deutschland, die EWU und die USA (Kap.7.9.3). Das bedeutet: die Geldvermögen wachsen deutlich stärker als die Realwirtschaft.


Die Wurzel dieser Geldschwemme ist die hohe „Sparneigung“ der Reichen – vgl. Kap.4.8. Diese Ersparnisse gehen weit über das Maß der Alterssicherung hinaus: Je höher das Einkommen, desto höher der Anteil am Einkommen, der gespart wird – siehe Dia4.8.5 und Dia4.8.6. Die Ungleichheit der Einkommensverteilung potenziert sich zur Ungleichheit der Vermögensbildung.


Die Entwicklung der Geldvermögen weist folgende wirtschaftliche Problematiken auf:

  • Die Geldvermögen wachsen deutlich stärker als die Realwirtschaft.
  • Dies lässt das monetäre Geldangebot stärker wachsen als die investive Geldnachfrage.
  • Seit über 20 Jahren sinken die Anleihezinsen trendartig gegen Null.
  • Der Zinsverfall bedroht aktuell die Stabilität der zinsabhängigen/kapitalgedeckten Altersversorgungen.
  • Der liquide Anteil der Bankeinlagen wächst in Deutschland besorgniserregend an (Liquiditätsvorliebe – Kap. 7.9.3).
  • Eine Flucht in die Sachwerte lässt vor allem die Immobilienpreise und die Wohnungsmieten übermäßig ansteigen.


Diese Phänomene sind insgesamt bedrohlich.

  • Politisch vorrangig ist in Deutschland die Sicherung der privaten Altersversorgung. Dies lässt sich kurzfristig nur durch staatliche Schutzmaßnahmen erreichen. Eine nachhaltige Lösung aber wäre die Ersetzung der Kapitaldeckung durch eine Beitragsfinanzierung im Rahmen der staatlichen Altersversorgung und die Einbeziehung der Altersversorgung der Selbständigen in das öffentliche Rentensystem. Beides würde auch die übermäßige Ersparnisbildung verringern.
  • Auf den Ausweg von umfangreichen Energieinvestitionen ist oben hingewiesen worden.
  • Die Mieten steigen in einem nicht mehr erträglichen Maße. Dies macht rigorose staatliche Eingriffe unvermeidlich. Helfen könnte eine spürbare Spekulationsabgabe auf Mieten, die – gemessen an Grundfläche und Wohnungsqualität – eine tolerierbare Höchstmiete überschreiten, oder eine gesetzliche Deckelung der Mieten.
  • Aber die übermäßige Immobilienspekulation lässt sich auf diese Weise nicht beenden. Bedrohlich ist die Gefahr des Platzens einer Immobilienblase. Das Beispiel Japans Anfang der 90er Jahre zeigt deren ökonomische Tragweite: Bis heute hat Japan die Folgen nicht bewältigt (Kap.6.7.2); und die Bewahrung seiner finanziellen Stabilität verdankt Japan nur dem Umstand, dass der japanische Staat eine Schuldenquote von 250 Prozent des BIP unabhängig vom internationalen Kapitalmarkt zu finanzieren vermag. Ohne eine staatliche Kontrolle der Immobilienmärkte sind diese Gefahren in Europa nicht zu bewältigen.


Die Wurzel all’ dieser Probleme ist das übermäßige Wachsen der Geldvermögen. Höhere Spitzensteuersätze und Vermögensabgaben wären angemessene Abhilfen. Die praktikabelste Vermögensabgabe ist die Erbschaftssteuer. Erbschaften regelt und kontrolliert der Staat, in dem der Erblasser lebt. Das Erbe ist der Teil des Vermögens, der sich klar von der eigenen wirtschaftlichen Leistung der Erben trennen lässt. Etwa 170 Mrd. Euros werden in Deutschland jährlich vererbt. Große Freibeträge und eine wirtschaftliche Regelung von vererbtem Betriebsvermögen würden eine Abschöpfung der übermäßigen Vermögensbildung erlauben.


Nach dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung waren 2014 15,5% der deutschen Bevölkerung einem Armutsrisiko ausgesetzt (Kap.4.8). Das Sicherungsniveau der Sozialhilfe richtet sich nach dem Arbeitslosengeld II. Dieses war 2005 als Hartz-IV-Reform effektiv um 30% gekürzt worden, um auf Arbeitslose einen stärkeren Druck zur Arbeitsaufnahme auszuüben (Exkurs6.1).


Der Erfolg von Hartz-IV bestand darin, dass Arbeitslose am Rande des Existenzminimums eher bereit waren, eine niedrig bezahlt Arbeit anzunehmen. Der soziale Preis war die Erhöhung des Armutsrisikos. So leben in Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt, heute 2 Millionen Kinder und Jugendliche in Bedarfsgemeinschaften auf dem Niveau dieses „sozio-ökonomischen Existenzminimums.“


Muss das sein? – Wenigstens die soziale Lage von armen Kindern sollte dringend überprüft werden. Es gibt Bildungs- und Teilhabepakete für Kinder von Hartz-IV-Empfängern, und in einigen Städten gibt es Sozialtickets. Eine kostenlose Teilhabe dieser Kindern an allen öffentlichen Einrichtungen und Leistungen sollte bundesgesetzlich gewährleistet werden.


back                                                                                                            next